Das Ende des Grauen: Eine Hommage an die Bundesliga

Dieses Thema im Forum "Die Lage in den Ligen" wurde erstellt von Herr Bert, 4. August 2022.

  1. Herr Bert

    Herr Bert Administrator

    Die Bundesliga steht vor ihrer 60. Saison. Was war, was wird? Über eine immer farbenfrohere Erfolgsgeschichte - und das Aus für Splitter im Allerwertesten.

    Die Bilder im Kopf sind fast immer schwarz und weiß, verschwimmen in der Rückschau zu einem Grau mit einem leichten Stich ins Gelbe. Die Stadien? Grau. Die Menschen? Grau. Die Mäntel und Hüte? Grau.

    Grau war der vorherrschende Ton in den Anfangsjahren der Bundesliga, die sich in ihrem Auftritt diametral entgegengesetzt entwickelt wie der Mensch. Während dieser seit Gründung im Jahr 1962 und Start der Liga 1963 satte 60 Jahre älter geworden ist und im günstigsten Falle der Rente entgegenfiebert, präsentiert sich der Fußballbetrieb in der Spitze immer jünger, immer farbenfroher, immer einfallsreicher und engagierter. Und immer bereit, auch gesellschaftliche Themen anzufassen, sich zu Wort zu melden und einen Beitrag zu leisten, die drängenden Probleme von heute zu bekämpfen helfen.

    Bei Einführung der Bundesliga ging es allein um Fußball, um die Konzentration der Kräfte, sportlich wie finanziell. "Mit Millionen Fußball-Freunden erhoffen wir klopfenden Herzens am Samstag die Geburtsstunde der von uns seit Nummer 1 des kicker beschworenen Bundesliga", schrieb mit jeder Menge Pathos Dr. Friedebert Becker, der Herausgeber des kicker in der Ausgabe vom 23. Juli 1962.

    Kremer und das "Real Madrid des Westens" prägen den Beginn

    Ein paar Tage später, am 28. Juli, war es so weit. Der Bundestag des DFB entschied in Dortmund mit großer Mehrheit die Einführung der Bundesliga ab der Saison 1963/64. Der Rest ist bekannt, es folgten Wochenenden voller Erfüllung für hunderttausende Fußball-Fans, die Stadien platzten mitunter aus allen Nähten, die Liga legte einen Blitzstart hin.

    Die erste Deutsche Meisterschaft im neuen Modus gewann überlegen der 1. FC Köln, dessen Präsident Franz Kremer früher als andere die Zeichen der Zeit erkannt hatte und die zaudernden Traditionalisten aus Stuttgart, Nürnberg oder Hamburg austrickste, indem er jahrelang gemeinsam mit Bundestrainer Sepp Herberger und dem saarländischen Funktionär (und späteren DFB-Präsidenten) Hermann Neuberger an der Basis Lobbyarbeit betrieb, die sich letztlich im Abstimmungsergebnis von 103 zu 26 niederschlug. Parallel dazu professionalisierte Kremer seinen Verein, der zu dieser Zeit das "Real Madrid des Westens" genannt wurde.

    Rund um die Stadien war aller Anfang schwer

    Die Wirklichkeit für den zahlenden Zuschauer war nicht immer pures Vergnügen. Mit erwähnten grauen Mänteln, grauen Hüten und ebensolchen Gesichtern stand der Fan von damals (fast ausnahmslos männlich) in maroden Stadien, die "Kampfbahnen" hießen, "Rote Erde" oder "Glückauf". Wer es sich erlauben konnte auf der Holztribüne zu sitzen, der bezahlte dieses Privileg nicht selten mit einem Splitter in den Allerwertesten, da brach der Jubel schonmal schnell ab und ging ins Fluchen über.

    Der Fan von damals nahm eine Menge als gegeben hin, was heute zu Massenunruhen führen würde. Wer beispielweise im Dezember 1967 als knapp achtjähriger Bursche seinen ersten Stadionbesuch absolvierte, der stand in der "Großen Kampfbahn" in Köln auf einem Erdwall, bibbernd im Regen und ungeschützt vor der Witterung, weil nur die Geraden überdacht waren. Trotz eines 1:0-Sieges meiner Kölner gegen Eintracht Braunschweig - das war alles andere als vergnügungssteuerpflichtig und dennoch folgten diesem ersten Stadionbesuch viele andere. Und 1975 stand man in der Südkurve tatsächlich unter einem Betondach, das die komplette Arena umspannte.

    Der Bruch mit den Fans: Freie Plätze waren keine Seltenheit

    Zu dieser Zeit litt die Liga längst und andauernd unter dem Liebesentzug der Fans. Eine handfeste Beziehungskrise war das und sie bedrohte Existenzen. Die sportlich erfolgreichste Zeit mit internationalen Titeln für die Klubs und die Nationalelf ging Anfang der 1970er Jahre einher mit der Aufarbeitung eines Betrugsskandals und der daraus resultierenden Ablehnung der Zuschauer. Warum noch ins Stadion gehen, wenn das Ergebnis vorher feststeht?

    Rund 16.000 Zuschauer kamen damals noch im Schnitt zu den Spielen, zwar gab es vor 1974 neue Stadien in den WM-Städten, doch sehr oft lachte dich der Beton hämisch dort an, wo eigentlich Menschen hätten stehen oder sitzen sollen. Die Klamotten wurden bunter, die Fußball-Industrie jedoch eintöniger. Der Deutschen liebster Sport und seine Fans durchlebten eine tiefe Krise, die vielen Klubs an die Substanz ging, manche an den Rand der Insolvenz brachten.

    Als der 1. FC Köln 1978 Deutscher Meister wurde, fanden im Schnitt 28.000 Fans den Weg zu den Spielen in Müngersdorf. Zum Vergleich: aktuell war vor und nach Corona so gut wie jedes Spiel dort mit 50.000 Zuschauern ausverkauft - auch in der 2. Liga.

    Die Versöhnung zwischen Liga-Fußball und Zuschauer

    Erst in den 1990er Jahren begann die Versöhnung der Fans mit dem Liga-Fußball. Immer mehr Frauen und Kinder drängten in die Stadien, die immer moderner konzipierten Arenen stellten sich auf diese Bedürfnisse ein. Es wurde Kinderbetreuung eingeführt, das gastronomische Angebot erweitert, neue Zahlsysteme wurden geschaffen und wieder verworfen, große VIP-Räume, später dann zusätzlich Logen, wurden eröffnet. Wer bereit war, entsprechend für eine Saisonkarte viertstellige Summen zu investieren, der sah sich nun rundumversorgt. Es wurde Platz geschaffen für jene Fans, die vielfach nicht wirklich welche waren, das Fußballspiel als Event und Plattform nutzten und für das Sehen und gesehen werden. Immerhin: auch um die Stadien herum verbesserte sich das Angebot für "Otto Normalfan", schleichend zwar, aber spürbar.

    Wie immer spielt auch Geld eine Rolle - und driftet die Vereine auseinander

    Die Liga profitierte zu dieser Zeit zunehmend von den explodierenden TV-Geldern, das Pay-TV erkaufte sich Exklusiv-Rechte, der Spielplan begann - zunächst langsam, dann immer schneller - zu zerbröseln, die aktive Fan-Szene wuchs an der Auseinandersetzung mit der wachsenden Vermarktung und Kommerzialisierung des Fußballs. An dieser Diskussion hat sich bis heute nichts geändert, im Gegenteil, sie wird härter geführt denn je, verstärkt noch, seit Klubs wie die TSG Hoffenheim oder RB Leipzig in die Liga kamen. Das Bosman-Urteil sorgte bereits 1995 für eine Revolution im Transfersystem, für eine Explosion der Gehälter und der Ablösesummen. Die Professionalisierung wurde kurz vor der Jahrtausendwende voran getrieben mit der Umwandlung vieler Klubs in Kapitalgesellschaften, schließlich mit der Gründung eines eigenen Ligaverbandes, der heutigen DFL.

    Vor der WM 2006 schossen die neuen Multifunktionsarenen wie Pilze aus dem Herbstboden, es gab Vereine, die daran gesundeten und welche, die an den Investitionen fast kaputt gingen. Das "Sommermärchen" wirkte noch einmal als Brandbeschleuniger, der die Flammen der neu entdeckten Liebe zum Fußball in ungeahnte Höhen schießen ließ. Ein Zuschauerrekord jagte den nächsten, die Erlöse aus Vermarktung und - natürlich - den TV-Verträgen stiegen und stiegen, aus der Liga rekrutierte sich eine Nationalmannschaft, mit der sich Fußball-Deutschland weitgehend und mindestens bis zum WM-Titel 2014 identifizieren konnte.

    Das Grau der frühen Jahre ist längst gewichen. Daran konnte auch Corona nichts ändern. Die Kassandra-Rufer, die dem Profifußball eine fette Delle prophezeiten durch das Virus, haben nicht Recht behalten. Die Bundesliga ist so bunt wie die Trikots, die heute viel mehr Besucher tragen als dies früher der Fall war. Und sie geht aufrecht, stramm und attraktiv Richtung siebtes Jahrzehnt. Stars wie Robert Lewandowski und Erling Haaland haben die Liga verlassen, neue Identifikationsfiguren werden kommen (wie Sadio Mané) oder heranwachsen wie Florian Wirtz aus Leverkusen oder Jamal Musiala aus München. Auch er ist ein Kind der Liga, wie so viele, die sich so bezeichnen. Basis und Überbau stimmen, was fehlt ist die Spannung im Rennen um die Meisterschaft. Zehnmal in Folge die Bayern - das ist zu viel. Wenngleich sicher ist: Auch ein elfter Titel in Serie für den Rekordmeister wird der Attraktivität der Liga nichts anhaben können.

    Quelle: Kicker.de

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