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„Wir wollten das Spiel abbrechen lassen“
#1
Die Zaunfahnen-Problematik beschäftigt den VfL Bochum. Im Interview beziehen Geschäftsführer Ilja Kaenzig und Knut Keymer Stellung.

Gut 45 Minuten Verzögerung beim Wiederanpfiff, die Sicherheit gefährdet, das Spiel kurz vor dem Abbruch: eine Zaunfahne hat beim Bundesliga-Partie zwischen dem VfL Bochum und dem VfB Stuttgart für mächtig Wirbel gesorgt, weil sie Fluchttore überdeckte. VfB-Verantwortliche schoben die Schuld daraufhin den Bochumer Kollegen zu. VfL-Geschäftsführer Ilja Kaenzig und Organisationsdirektor Knut Keymer äußern sich nun im Interview zu dem Vorfall, den Vorwürfen und möglichen Konsequenzen.

Herr Kaenzig, die Zaunfahnen-Problematik schlägt hohe Wellen. Dem VfL Bochum wurde von Stuttgarter Seite vorgehalten, überreagiert zu haben.
Ilja Kaenzig: Das weise ich zurück. Die Regeln wurden von VfB-Fans nicht eingehalten. Dadurch ist eine Situation entstanden, die sehr komplex war und uns möglicherweise zu einschneidenden Maßnahmen zwingt. Die Fakten sind in der Diskussion bislang aber leider etwas untergegangen. Diese sind eindeutig: Die Regeln, wie Zaunfahnen bei uns im Stadion hängen dürfen, damit keine Fluchttore überhängt werden, wurden weit im Vorfeld klar kommuniziert. Die spezifizierten Vorgaben haben wir vor der Saison vom Bochumer Bauordnungsamt erhalten. Und wenn die nicht eingehalten werden, kann kein Spiel angepfiffen werden bzw. muss nach Kenntnisnahme die Veranstaltung unter- bzw. abgebrochen werden.

Stuttgarts Vorstandchef Alexander Wehrle sagte am Sonntag im Sport-1-Doppelpass, das Aufhängen der Fahnen habe unter Begleitung der Ordnungskräfte stattgefunden.
Kaenzig: Das ist falsch. Die Stuttgarter Anhänger haben in der Vorspielphase möglicherweise eine Lücke ausgenutzt. Sie haben uns vielleicht getäuscht, das hat zu der Lage geführt.

Knut Keymer: Die Regeln für das Befestigen von Zaunfahnen wurden am 15. Januar auf der Homepage des VfB Stuttgart veröffentlicht. Die Stuttgarter Ultra-Gruppen haben trotzdem Banner mitgenommen, die nicht zu unseren Maßen passen. Die Gruppen waren bereits um 14.15 Uhr im Stadion, haben aber erst um 14.55 Uhr damit begonnen, ihre Banner am Zaun aufzuhängen. Das war just der Moment, in dem eine an Spieltagen übliche Sicherheitsbesprechung mit Fanbeauftragten, Polizei, Feuerwehr und uns als Veranstalter stattgefunden hat. Hier wurde vermutlich wissentlich eine potenzielle Schwachstelle im System ausgenutzt. Das Protestbanner, das zu Spielbeginn hing, war von uns für die vereinbarten zwölf Minuten im Rahmen des Meetings genehmigt worden, wurde aber sozusagen als Trojanisches Pferd genutzt. Die Banner darunter hingen über mehrere Tore verteilt, das war aufgrund des Protestbanners für uns leider nicht sofort zu sehen.

Alexander Wehrle behauptete, es habe das Angebot der Stuttgarter Ultras gegeben, die Fahnen einzupacken und das Stadion zu verlassen. Stimmt das?
Kaenzig: Den Verantwortlichen des VfL gegenüber hat es dieses Angebot nicht gegeben. Entscheidend ist: Den Stuttgartern waren die Spielregeln bekannt! Diese Regeln gibt das Bauordnungsamt vor, wir setzen sie um, geben somit also auch die Regeln vor – aber nicht die Kurve. Wir haben die VfB-Fans auch nicht dabei unterstützt, die Fahnen aufzuhängen. So hat sich ein Sicherheitsrisiko ergeben.

Wenn ein Sicherheitsrisiko bestanden hat – warum wurde das Spiel nicht schon während der ersten Halbzeit unterbrochen?
Keymer: Wir haben zusammen mit allen Verantwortlichen die Entscheidung getroffen, dass wir im Sinne des Sports und der Deeskalation diese Partie erstmal bis zur Halbzeit fortsetzen. Zudem haben wir die Stuttgarter Fanbetreuung darauf hingewiesen, dass sie den VfB-Fans mitteilt, dass das Banner entfernt werden muss. In der Halbzeitpause haben wir unmittelbar das Gespräch mit dem Schiedsrichter gesucht und zudem auf die Stuttgarter Fans eingewirkt, damit das Banner abgehängt wird. Das war nicht der Fall, und es hat aus unserer Sicht ein erhebliches Sicherheitsrisiko gegeben. Eine Spielfortsetzung war daher nach unseren Vorgaben nicht möglich.

Hätten Polizei oder Sicherheitskräfte das Banner nicht „einfach“ entfernen können?
Kaenzig: Für die Ultras ist ihr Banner sozusagen ein Heiligtum. Das darf kein Außenstehender anpacken. Das ist für die Öffentlichkeit schwer nachzuvollziehen, gehört aber zur Fankultur der Ultras. Wenn das Banner erst einmal hängt, kann man es nicht einfach abnehmen, ohne dass die Lage eskaliert.

Testweise wurden vor dem Anpfiff und auch in der Unterbrechung vor dem Beginn der zweiten Halbzeit Sicherheitstore geöffnet. Diese gingen auf. Gab es dennoch ein Sicherheitsrisiko?
Keymer: Vor dem Spiel wurde ein Fluchttor vor den Sitzplätzen testweise geöffnet, weitere nicht. Dieses Tor ließ sich trotz des Protestbanners öffnen, als Entgegenkommen unsererseits konnte das schwarze Banner also für den vereinbarten kurzen Zeitraum von zwölf Minuten hängenbleiben. Nachdem das Protestbanner entfernt wurde und die anderen, uns vorher nicht erkannten Banner darunter sichtbar wurden, war aber klar, dass das Fluchttor vor den Stehplätzen dauerhaft betroffen ist. Daher gab es von unserer Seite die erheblichen Bedenken.

Kaenzig: Unsere Auflage durch die Ordnungsbehörden ist es, dass die Fluchttore nicht überhängt werden dürfen. Dafür müssen wir Sorge tragen, und das wurde weit im Vorfeld des Spiels auch an den Gastverein klar kommuniziert – wie übrigens jedem anderen Verein in dieser Saison auch. Es bestimmen nicht Dritte, wie der Maßstab für den Fall einer Entfluchtung ist. Es ist bemerkenswert, dass nach dem Vorfall gegen Borussia Mönchengladbach eine solche Situation scheinbar bewusst provoziert wird, mit Verweis auf Unkenntnis oder durch eine subjektive Auslegung der Regeln.

Hätte das Spiel überhaupt weitergeführt werden dürfen?
Keymer: Wir sprechen hier über Gefahrensituationen, über Menschenleben. Wir dürfen solche Situationen nicht auf die leichte Schulter nehmen. Wir als Verantwortliche wollten das Spiel um 17 Uhr abbrechen lassen. Der Schiedsrichter war derjenige, der einen letzten Vermittlungsversuch unter Hinzunahme der Feuerwehr erwirkte. Zusammen konnten wir im Sinne des Sports für dieses eine Spiel noch einmal eine Kompensationslösung erwirken. Mit Hilfe mehrerer Ordner gingen die Tore auf, die Feuerwehr hat letztlich ihr Okay gegeben. Aber noch einmal: Wir haben die Vorgabe, dass kein Spiel stattfinden darf, wenn Flucht- und Rettungstore überhängt werden. Diese Vorgabe haben wir vor Saisonbeginn vom Bauordnungsamt in Bochum erhalten, und diese wird an die Gastvereine und deren Fans kommuniziert. Daher ist auch ganz klar: Eine solche Kompensationslösung wie gegen Stuttgart wird es nicht noch einmal geben. Wir sind diejenigen, die die Verantwortung für eine Großveranstaltung mit 26.000 Menschen tragen. Dann muss man auch unangenehme Entscheidungen treffen. Wir werden allerdings dafür sorgen, dass es zu solch einer Situation nicht mehr kommen wird.

Wie kann man das künftig verhindern?
Kaenzig: Wir werden Lösungen finden müssen, damit wir auch gar nicht erst in Diskussionen vor dem Spiel kommen. Das Thema ist sehr komplex. Klar ist, dass wir die Fankultur respektieren und fördern. Zu einer lebendigen Fankultur gehören auch Banner. Daher ist ein generelles Verbot höchstwahrscheinlich nicht die Lösung. Alles, was wir nun entscheiden, ist fanpolitisch jedoch höchst sensibel. Das wissen wir. Daher kann ich noch keine konkrete Aussage dazu machen. Wir werden unsere Abläufe schärfen, das steht fest.

Keymer: Wir werden sicherlich dafür sorgen, dass die Abläufe rund um die Sicherheitsbesprechung angepasst werden. Ich halte nichts davon, alle Gästefans für solche Vorkommnisse verantwortlich zu machen, eine Verbotskultur wollen wir nicht. Bis zum Ende der Woche wollen wir den Kollegen des FC Augsburg, der unser nächster Gegner im Vonovia Ruhrstadion sein wird, die Bedingungen mitteilen. Fest steht, dass wir auch da explizit auf die Begebenheit vor Ort hinweisen werden. Die Spielregeln sind klar und wir erwarten, dass sich die Fanszenen daran halten. Bis auf zwei Ausnahmen hat das in dieser Saison auch geklappt. Eventuell können wir mit kleineren baulichen Maßnahmen die Situation entschärfen und zudem noch deutlicher machen, wo und wie etwas hängen darf und wie groß die Banner sein dürfen.

Ist für den VfL Bochum nun eine Strafe zu erwarten?
Kaenzig: Wer diese Situation provoziert hat, ist für uns klar. Das Thema ist nun beim DFB gelandet, wir werden Stellung beziehen und abwarten, wie der Verband entscheidet.

Schlussendlich könnte eine Zaunfahne aber zu einem Spielabbruch führen. Gibt man Ultras damit ein gefährliches Instrument?
Kaenzig: Ultra zu sein war schon immer Ausloten von Grenzen, ein Katz-und-Maus-Spiel mit Clubführungen, Sicherheitsträgern und Institutionen. Ich will die Ultra-Bewegung aufgrund des einen Vorfalls nicht pauschal in ein negatives Licht rücken. Dass die Situation am Samstag plötzlich dermaßen ausartet, das wollten die Stuttgarter Anhänger bestimmt auch nicht, aber es wurde zu einem Machtspiel. Wir werden, wie bereits gesagt, aus dem Fall lernen und unter anderem künftig noch konsequenter auf die Bedingungen bei uns im Stadion hinweisen, einen größeren Kreis in die Pflicht nehmen, weitere potenzielle Lücken schließen. Eine solche Situation darf sich nicht wiederholen.

Quelle: WAZ.de
Tradition ist nicht die Aufbewahrung von Asche, sondern die Weitergabe des Feuers

" Der VfL kommt von der Castroper Strasse, und hier soll er auch bleiben."
Ottokar Wüst 1974. Ehrenpräsident des VfL. t 18.Juni 2011
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