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Die Kehrseite des Dauerkarten-Booms der Bundesliga
#1
Die Bundesliga spielt beim Zuschauerzuspruch im weltweiten Fußball seit Jahren auf allerhöchstem Niveau. Zur Saison 2024/25 sorgten die Fans bei den 18 Klubs für einen ungebremsten Dauerkarten-Boom. Doch ausgerechnet hinter dem Ansturm auf die Saisontickets könnte sich ein "ernstzunehmendes Warnsignal" verstecken, wie Dominik Schreyer, Professor für Sportökonomie, WHU - Otto Beisheim School of Management, im Interview erklärt. 

Herr Schreyer, die Bundesliga muss in dieser Saison nicht nur weitere Zuschauer-Abgänge Richtung 2. Bundesliga hinnehmen, sondern wird höchstwahrscheinlich auch den Titel der zuschauerstärksten Liga an die Premier League verlieren

Muss sich die Deutsche Fußball Liga Sorgen um die Ticketnachfrage im Oberhaus machen?

Nein, obwohl dies natürlich Einfluss auf die Positionierung im In- und vor allem auch Ausland haben kann. In den vergangenen Jahren wurde zu Recht oft herausgestellt, dass die Bundesliga mit Blick auf die Zuschauernachfrage im Vergleich der europäischen Top-Ligen den höchsten Durchschnittswert pro Begegnung erzielt. Künftig wird man auf diesen Satz verzichten müssen, was ein weiteres Argument im Wettbewerb mit der Premier League kostet. Das bedeutet jedoch nicht unbedingt, dass die Stadien in der kommenden Saison merklich leerer sein werden als gewöhnlich.

Warum nicht?
Mit Vereinen wie Borussia Dortmund, Bayern München, aber auch Eintracht Frankfurt, dem VfB Stuttgart und Borussia Mönchengladbach spielen in der Bundesliga weiterhin Klubs, die - in Bezug auf die Stadionnachfrage - in der europäischen Spitzengruppe agieren. Grundsätzlich bleiben die Auslastungsquoten dabei formell weiterhin hoch. Der zu erwartende Abstieg im Nachfrage-Ranking ist eher eine Frage der temporären Ligazusammensetzung.

Sie spielen auf die kapazitätsschwächeren Bundesliga-Aufsteiger der vergangenen Jahre an. Wieviel "Verzwergung" kann die Bundesliga noch verkraften?
Ich würde nicht unbedingt von einer Verzwergung der Liga sprechen, sondern eher von einem schleichenden Traditionsverlust. Unabhängig davon ist der Vorgang insbesondere mit Blick auf die Stadionnachfrage in der Bundesliga gleichermaßen problematisch, da Vereine wie der 1. FC Köln, der Hamburger SV oder Schalke 04 in den vergangenen Jahrzehnten eine große Zahl an Menschen begeistern konnten, die bis heute verhältnismäßig große Stadien füllen.

Auch der Gegner spielt eine Rolle

Was durch Auswärtsfahrer auch für die Stadien der gegnerischen Klubs gilt.
Absolut - man darf nicht vergessen, dass rund zehn Prozent der Stadionkapazität weiterhin für Fans des Auswärtsvereins reserviert sind. Wird diese Nachfrage nicht bedient, zum Beispiel weil ein Auswärtsteam eben (noch) keine oder nur wenige Auswärtsfahrer hinter sich versammeln konnte, bleiben diese Plätze oft leer, denn die Auswärtsbereiche sind in der Regel kaum oder gar nicht konvertierbar. Auch das Tageskartengeschäft im Heimbereich hängt stark vom Gegner ab. Angesichts der aktuellen Ligazusammensetzung und der ohnehin schon hohen Auslastung in den Stadien halte ich weiteres Wachstum für unwahrscheinlich. Im Gegenteil, es könnte sogar zu einem leichten Rückgang kommen.

Andererseits haben die Bundesligisten in der Saison 2024/25 wieder mal Dauerkarten en masse abgesetzt. Um die Attraktivität des Produkts scheint sich die Bundesliga also weniger Sorgen machen zu müssen.
Das mag auf den ersten Blick sicherlich zutreffen. In dieser Saison werden - Stand Mitte August - die 18 Bundesligisten mindestens 415.000 Dauerkarten verkauft haben. Bei jeweils 17 Heimspielen bedeutet das, dass die Klubs bereits vor dem ersten Spieltag etwa sieben Millionen Tickets abgesetzt haben. Zum Vergleich: Die niederländische Eredivisie, immerhin auf Platz sechs der nachgefragtesten europäischen Elite-Fußballligen, distribuiert in der ganzen Saison nur knapp 5,5 Millionen Tickets. Bei einer Bundesliga-Gesamtkapazität von rund 10,9 Millionen Plätzen im Heimbereich entspricht dies aber eben etwa auch bereits fast zwei Dritteln aller theoretisch verfügbaren Sitze. Was auf den ersten Blick wie ein Erfolg aussieht, halte ich jedoch eher für problematisch

Inwiefern?
Für die Verantwortlichen in den Vereinen bietet ein hoher Dauerkartenabsatz zunächst eine gewisse Planungssicherheit durch verhältnismäßig sichere Einnahmen und einen reduzierten Verwaltungsaufwand. Allerdings sind die Margen im Vergleich zu Tageskarten aufgrund der oft doch noch großzügigen Rabatte gering. Ist die Nachfrage nach Bundesliga-Fußball sehr hoch, befindet sich ein Klub ökonomisch betrachtet also auf dem Irrweg, wenn er mehr statt weniger Dauerkarten herausgibt. Ich glaube vielmehr, dass eine ganze Reihe von Vereinen erkannt hat, dass die effektive Nachfrage nach Bundesliga-Fußball vor Ort durch Dritte oft überschätzt wird und dass die Verantwortlichen sich mithilfe hoher Dauerkartenabsätze absichern, da sie kein unnötiges Risiko eingehen wollen.

Das wäre ein doch eher alarmierendes Zeichen.
Wenn dem tatsächlich so sein sollte, ist dies zumindest ein erstes, ernstzunehmendes Warnsignal und ein Hinweis auf einen gewissen Attraktivitätsverlust. Demgegenüber steht eine kleine Gruppe extrem nachfragestarker Vereine, die wiederum erhebliche Einnahmenpotenziale ungenutzt lassen.

Die Nachteile des hohen Dauerkartenabsatzes
Die Preisgestaltung ist im internationalen Vergleich aber immerhin um einiges fanfreundlicher - das könnte man ja auch als Stärke deklarieren.

Keine Frage, die Preise für den Stadionbesuch sind hierzulande noch relativ sozial verträglich - gerade im Vergleich zur englischen Premier League, wo der durchschnittliche Dauerkartenpreis signifikant höher ist, als in der Bundesliga. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die Premier League trotz dieser hohen Preise - künftig absolut und relativ - eine stärkere Nachfrage generiert als die Bundesliga. Aber selbst dann, wenn wir den unmittelbaren Umsatzverlust einmal ausblenden, bringt der hohe Dauerkartenabsatz eine ganze Reihe von Nachteilen mit sich.

Welche?
Insbesondere sind hier signifikant höhere No-Show-Raten zu nennen. Unsere Studien zeigen, dass Dauerkarteninhaber in der Regel drei bis vier Heimspiele auslassen. Steigt also der relative Dauerkartenanteil, dann steigt - zumindest immer dann, wenn der Zweitmarkt nicht intakt ist - auch die No-Show-Rate, die vor der Pandemie in der Bundesliga übrigens bei etwa zwölf Prozent lag.

Warum sind No-Shows so problematisch? Das Ticket-Geld haben die Klubs ja trotzdem sicher …
Das ist richtig, greift aus meiner Sicht aber etwas zu kurz. Zum einen könnten Vereine wie Borussia Dortmund oder Bayern München, die mit starker Nachfrage konfrontiert sind, die leergebliebenen Plätze an Fans auf ihren gut gefüllten Wartelisten verkaufen - und zwar oft mit einer deutlich höheren Gewinnmarge. Außerdem führt das Nichterscheinen häufig auch zu ineffizienten Betriebsabläufen, was in personellen Überbesetzungen, Lebensmittelverschwendung und nicht zuletzt geringeren Einnahmen am Spieltag münden kann. Externe Interessengruppen, wie Sponsoren und Gäste, insbesondere in den Hospitality-Bereichen, könnten enttäuscht sein. Denn je mehr Sitzplätze frei bleiben, desto negativer wirkt sich das auf das Stadionerlebnis vor Ort sowie auf die Attraktivität des Produkts aus. Vor den Bildschirmen zu Hause können freie Plätze zudem abschreckend auf potenzielle Ticket-Interessenten wirken - ein Teufelskreis entsteht.

Wie können Klubs gegen leergebliebene Plätze von Dauerkarteninhabern vorgehen?
Es gibt eine ganze Reihe von Möglichkeiten, sowohl die Ursachen als auch die etwaigen Symptome zu bekämpfen - angefangen bei systematischen Erinnerungen, wie wir sie beispielsweise aus dem Gesundheitswesen kennen, bis hin zu Überbuchungsstrategien beispielsweise im Stehplatzbereich. Insbesondere bei sehr nachfragestarken Klubs, auch im Ausland, scheint sich hingegen ein anderer Trend zu verfestigen.

Mindestnutzung der Saisontickets angestrebt

Welcher?
Es gibt immer mehr Fälle, in denen Dauerkarteninhabern mit einer vergleichsweise hohen No-Show-Rate das Vorkaufsrecht entzogen wird. Im vergangenen Jahr kündigte beispielsweise Arsenal London Dauerkartenbesitzern, die bei weniger als 17 von 22 Heimspielen ins Stadion kamen. Borussia Dortmund und RB Leipzig haben ebenfalls erste Versuche unternommen, eine Mindestnutzung der Saisontickets zu etablieren. In der Vergangenheit gab es ähnliche Ansätze unter anderem auch schon beim Hamburger SV oder beim VfL Wolfsburg. Wie nachhaltig diese Initiativen jedoch sind, wird sich erst noch zeigen müssen.

Gibt es neben der höheren No-Show-Rate weitere Herausforderungen, die sich aus einem hohen Anteil Dauerkarten ergeben?
Durchaus. Dauerkarteninhaber kommen im Vergleich zu Tageskartenkäufern in der Regel deutlich später ins Stadion und konsumieren daher tendenziell weniger. Vor allem aber - und das wird oft ausschließlich positiv betrachtet - bilden Dauerkarteninhaber in ihrer Gemeinschaft eine Art geschlossene Gesellschaft, einen Klub im Klub, in den im Grunde niemand anderes hereinkommt. Überspitzt könnte man sagen: Der Dortmunder Signal-Iduna-Park hat derzeit die härteste Tür Deutschlands, und nicht etwa, wie oft kolportiert wird, das Berghain in Berlin. Dieser Umstand könnte mittelfristig zu einem Problem werden.

Warum?
Die Bundesligisten sollten meiner Meinung nach schon jetzt darauf achten, dass die Tribünen mittelfristig nicht vergreisen. Die Probleme mögen derzeit noch fern scheinen, aber die heutigen Dauerkarteninhaber, die im Schnitt 40 bis 50 Jahre alt sind, werden in fünfzehn Jahren 55 bis 65 Jahre alt sein. Wenn es nicht gelingt, das Publikum zu verjüngen - ein Publikum, das nicht ewig vor den Stadiontoren warten wird -, werden sich die Klubs künftig eher Gedanken über effiziente Lifte und Rolltreppen machen müssen, anstatt über 5G und Augmented-Reality-Applikationen.

Können Sie das mit Zahlen belegen?
Eine belastbare Studie mit den entsprechenden Daten aller Bundesligisten gibt es leider noch nicht. Aber ein ehrlicher, selbstkritischer Blick über die Sitzplatztribünen sollte in vielen Stadien genügen, um die Problematik zu erkennen. Zumal das Phänomen leicht erklärbar und wenig komplex ist: Dauerkarteninhaber kündigen selten, sie behalten also ihr Saisonticket und werden dabei im Schnitt jedes Jahr ein Jahr älter.

Sind die von der DFL kommunizierten 95,2 Prozent Auslastung in der Saison 2023/24 angesichts von No-Shows, demografischen Entwicklungen und der konstellationsbedingten sinkenden Attraktivität der Bundesliga-Klubmarken ein trügerischer Wert?
Ich denke, man sollte die Kirche im Dorf lassen. Wie die meisten Ligen und Verbände kommuniziert die DFL seit jeher die Anzahl der distribuierten Tickets und weist mittlerweile auch explizit darauf hin. Dies ist gewissermaßen Usus, und selbst eine niedrige, zweistellige No-Show-Rate von zwölf oder dreizehn Prozent würde nicht dazu führen, dass wir von einer Nachfragekrise sprechen müssten. Im Gegenteil: Ich sehe derzeit noch kein Zuschauerproblem. Gleichzeitig halte ich es für sinnvoll, innezuhalten und sich bewusst zu machen, dass Wachstum kein Automatismus ist. Weiteres Wachstum erfordert meiner Meinung nach signifikante Investitionen in das Produkt - nicht zuletzt mit Blick auf das Hospitality-Angebot. Denn seien wir mal ehrlich: Das derzeitige Stadionerlebnis ist vielerorts ein Produkt, das nicht unbedingt vom Kunden aus gedacht ist.

Wie meinen Sie das?
Wenn Sie das Bundesliga-Erlebnis vor Ort mit dem zu Hause vergleichen, zieht der Stadionbesuch in fast allen Bereichen den Kürzeren. Der Anfahrtsweg ist nicht nur vergleichsweise lang, sondern - denken Sie an die Fahrt mit Bus und Bahn - oft auch schweißtreibend. Spätestens am Einlass stehen dann auch Autofahrer im Stau. Im Stadion wird es auch nicht unbedingt besser: Fans warten in langen Schlangen entweder auf ein Bier oder darauf, die Toilette aufsuchen zu dürfen. Im Grunde wartet man die ganze Zeit, und dazu gibt es noch eine durchschnittliche Wurst. Im Vergleich zum TV-Erlebnis ist der Stadionbesuch zudem vergleichsweise teuer und bietet einen deutlich schlechteren Informationsfluss - Stichwort VAR. Verstehen Sie mich nicht falsch, auch ich gehe gern und regelmäßig ins Stadion. Dennoch gibt es hier, auch mit Blick auf die kommunikative Begleitung am Spieltag, noch viel Luft nach oben.

Wie könnte eine solche "kommunikative Begleitung" denn aussehen?
Auch wenn in jedem Stadion ein anderer Song gespielt und ein anderes Bier ausgeschenkt wird, ist das Erlebnis im Grunde doch überall vergleichbar. Ich denke, hier gibt es noch viel Spielraum für das Erzählen von Geschichten, die die Zuschauer wirklich packen. Das beginnt bereits beim Ticketverkauf, die meisten Out-of-home-Kampagnen rücken beispielsweise ausschließlich das Heimteam in den Fokus. Wie bereits erwähnt, ist aber das Auswärtsteam maßgeblich für den Ticketabsatz und das Zutrittsverhalten verantwortlich. Hier könnte man ansetzen, um die Menschen vor Ort kommunikativ abzuholen: In diesem Sinne sollten die Klubs eher herausstellen, welcher Gegner da kommt und warum man das nicht verpassen sollte.

Wird sich der Stadionbesuch der Zukunft deutlich verändern im Vergleich zu dem, wie wir ihn heute kennen?
Ich denke, dass das Stadionerlebnis der Zukunft, allen Internationalisierungsbemühungen zum Trotz, eher ein zunehmend lokales Erlebnis sein wird - vergleichbar mit dem Erlebnis auf einem Marktplatz, auf dem sich die Menschen der Stadt begegnen und dessen Kernfunktion der echte soziale Austausch ist. Folgt man dieser These, erscheint es plausibel, dass die Klubs künftig in erster Linie Räume für soziale Begegnungen schaffen und noch näher an ihre Heimatstädte heranrücken sollten. Fortuna Düsseldorf ist dafür mit dem Konzept "Fortuna für alle" ein gutes Beispiel. Am Ende sollte es den Klubs in erster Linie darum gehen, bestehende Zutrittsbarrieren vor Ort zu senken.

Welche Barrieren meinen Sie?
Mir fällt eine ganze Reihe solcher Barrieren ein, aber eine wesentliche ist sicherlich, dass es den Bürgern oft noch zu schwer gemacht wird, überhaupt ein Ticket zu kaufen - insbesondere kurzfristig. Eine zentrale Ticketing-Plattform aller Klubs, wie sie in der Vergangenheit etwa auch für einen gemeinsamen Zweitmarkt diskutiert wurde, könnte gewöhnlichen Fans ohne Dauerkarten helfen, die Suchkosten signifikant zu reduzieren. Denn, im Grunde ist hier jeder zusätzliche Schritt ein Schritt zu viel. Gerade die Klubs, die es in der Vergangenheit salopp gesagt gewohnt waren, am Spieltag lediglich das Stadiontor aufzuschließen, werden sich künftig gewaltig strecken müssen. Anders gesagt: Die Anforderungen im und an den Markt für Unterhaltungsangebote, zu dem die Bundesliga ja ebenfalls gehört, haben sich in den vergangenen Jahren radikal verändert. So einfach wie in der Vergangenheit wird es jedenfalls nicht mehr werden.

Quelle: Kicker.de [/b]
Tradition ist nicht die Aufbewahrung von Asche, sondern die Weitergabe des Feuers
" Der  VfL kommt von der Castroper Strasse, und hier soll er auch bleiben."
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