Nicht die beste Mannschaft hat den EM-Titel gewonnen, sondern die willensstärkste und glücklichste. Sieger sind neben England aber auch die Schweiz und die Schiedsrichterinnen. Ein Kommentar von kicker-Redakteur Paul Bartmuß.
"Seele, Herz und Talent - uns fehlt es an nichts", hatte die spanische Außenverteidigerin
Olga vor dem Endspiel gesagt. Man war zunächst geneigt, ihr zuzustimmen, aber letztendlich waren es dann doch zwei Dinge, die das beste Team dieser EM gebraucht hätte: Abschlussstärke und etwas Glück.
Der Weltmeister 2023 und Nations-League-Sieger 2024 wäre nämlich auch der verdiente Europameister 2025 gewesen. Spielerisch kommt an Spanien in der Gegenwart niemand heran. Während Frankreich in spielerischer Hinsicht nur in der Vorrunde überzeugte und Deutschland sogar nie auf ganzer Linie, zogen sich die dominanten Auftritte von La Roja durch diese vier Wochen in der Schweiz. Der Respekt vor ihr war daran zu erkennen, dass sowohl
Deutschland im Halbfinale als auch
England im Finale einen gestalterischen Ansatz schon vor Anpfiff verwarfen und sich in die Verlängerung kämpften.
Der Erfolg allerdings gibt der niederländischen Trainerin der Lionesses,
Sarina Wiegman, recht: Ihre persönlichen drei EM-Titel in Serie sind eine riesige, eine historische Leistung. Wie ihre Mannschaft ein ums andere Mal in der K.-o.-Runde mit schierer Willenskraft Rückstände aufholte, nötigt Respekt ab. Dazu bewies
Chloe Kelly den gewaltigen Einfluss, den ein Dauer-Joker nehmen kann. Ohne einen einzigen Startelf-Einsatz gehörte die 27-Jährige zu den prägendsten Figuren des Turniers.
Einem Turnier, bei dem deutlich zu beobachten war, dass die kleineren Nationen aufgeholt haben. Klare Siege gab es in der K.-o.-Runde keinen einzigen, stattdessen ging es fünf- von siebenmal über 120 Minuten. Das Teilnehmerfeld ist enger zusammengerückt. Und nebenbei: Dass bei keinem einzigen Spiel hinterher über die Leistung der Schiedsrichterin diskutiert wurde, sondern immer nur über die der Spielerinnen, ist ein großer Fortschritt.
Deutschland kann sich als potenzieller Ausrichter einiges für 2029 abschauen
Viel Positives also, zu dem fraglos auch der Ausrichter seinen Teil beitrug. Die Schweiz packte diese Chance beim Schopfe, präsentierte sich höchst interessiert am Frauenfußball und bestens organisiert. Mit dem Konzept, dass Ticket-Inhaber kostenfrei per Zug zu den Spielorten und zurück reisen durften, gelang dem Gastgeber ein Erfolg der Nachhaltigkeit - auch weil das System in der Alpenrepublik selbst bei nächtlichen Extrazügen höchst zuverlässig funktionierte. Ganz ohne Chaos auf den Bahnsteigen.
Da dürfte die Führung des DFB etwas neidisch geblickt haben. Ohnehin liegt es auf der Hand, dass sich Deutschland einiges von der EM 2025 abschauen kann, sollte es den
Zuschlag für die Ausrichtung der EM 2029 erhalten. Eine Sache aber, das hat Sport-Geschäftsführer Andreas Rettig schon vorher betont, soll anders laufen. Mit bewusst eingepreisten 20 bis 25 Millionen Euro Nettoverlust hatte die UEFA vor Turnierbeginn in der Schweiz kalkuliert und dies als "Investition" verbucht. Angesichts voller Stadien und eines messbar hohen öffentlichen Interesses muss dieses Minus ein Einzelfall bleiben.
Die finanzielle Bilanz stellt eines von insgesamt nur zwei Mankos eines hervorragenden Turniers dar. Und das andere? Im Sinne des Fußballs muss dieses Fazit erlaubt sein: Nicht die beste Mannschaft hat den EM-Titel gewonnen, sondern die willensstärkste und glücklichste.
Quelle: Kicker.de