06-29-2025, 08:29 PM
25 Jahre als Trainer: Zum Jubiläum blickt Dieter Hecking mit dem kicker zurück auf seine Anfänge in der 3. Liga und seinen kuriosen Wechsel nach Aachen. Der 60-Jährige erklärt, wie er Kevin De Bruyne zum Glänzen brachte und wieso es mit Nicklas Bendtner nicht funktioniert hat. Außerdem spricht er über einen Traum, den er als Trainer noch verfolgt
Fritz, Franz und Sissi sind auch da. Die drei Hunde der Familie. Großer Empfang für ein großes Interview. Dieter Hecking lädt den kicker ein auf sein Grundstück in der Nähe von Bad Nenndorf. Das ist für den Bochumer Trainer der Ort zum Entspannen und Krafttanken. Hier entwickelt er Ideen. 25 Jahre arbeitet er nun als Fußballlehrer. Viel Zeit für ein ausführliches Gespräch über seinen Beruf.
Gab es eine Art Initialzündung für Ihre Trainerkarriere, Herr Hecking?
Der Ursprung liegt bei Reinhold Fanz, meinem letzten Coach als Spieler in Braunschweig 1999/2000. Er hat mich auf die Spur gebracht. Es war zunächst vorgesehen, in Braunschweig bei ihm als Co-Trainer einzusteigen. Es gab aber schon zwei Assistenten, einen dritten konnte sich die Eintracht nicht leisten
War es denn von Anfang an Ihr Plan, 25 plus X Jahre Trainer zu sein?
Ich wollte zumindest immer besser werden, immer weiterkommen.
Aber als Sie anfingen, waren Sie gerade 35. Gab es da tatsächlich schon so langfristige Überlegungen?
Es war zumindest für mich immer schon klar, dass ich mit 50 einmal einen Titel gewonnen haben wollte.
War Fanz als Trainer dabei stets Ihr Vorbild?
Reinhold war sicherlich schon auf seine Art ein Impulsgeber für mich. So wie er eine Mannschaft geführt hat und mit Menschen umgegangen ist. Aber es gab nie so den einen, von dem ich sage: Den will ich kopieren. Ich habe Trainer erlebt von "geht gar nicht" bis hin zu "von dem könnte man was mitnehmen".
In Braunschweig endete Ihre aktive Laufbahn. Wie gelangten Sie so schnell ins Trainergeschäft?
Ich hatte mich schon gleich im Jahr 2000 für die Fußballlehrer-Ausbildung angemeldet. Da saßen dann 25 angehende Fußball-Lehrer und Erich Rutemöller, der damals den Lehrgang geleitet hat, fragte in die Runde: "Wer will denn von euch in der Bundesliga landen?" Ich war der Einzige, der aufgezeigt hat ... Ich habe es nie verstanden, dass in dem Lehrgang kein anderer so richtig offensiv damit umgegangen ist.
Dann suchte zugleich der SC Verl einen jungen Trainer für die Regionalliga.
Ja, und das war so der Einstieg.
Verl spielte immerhin drittklassig, aber längst nicht Bundesliga …
… aber für den Anfang war das anspruchsvoll genug. Ich war ja noch zur Ausbildung immer bis Donnerstag in Köln, dann hatte ich erst Zeit für Verl. Trotzdem haben wir uns vom Abstiegskandidaten zu einer Mannschaft entwickelt, die fast ganz vorne dabei war
Gibt es seit Verl noch Dinge, die sich in 25 Jahren nicht verändert haben?
Nun, der Trainerstab waren damals Dr. Jörg Weber und ich. Er war mein Co-Trainer und das war es. Unvorstellbar wäre das in der heutigen Zeit, dass wir da zu zweit eine Drittliga-Saison planten. Aber man konnte den Job so von der Pike auf lernen. Da waren für mich Verl, dann Lübeck optimale Standorte. Ich durfte Fehler machen, das fiel nicht so auf. Es war natürlich auch eine ganz andere Zeit, was Social Media, Vereinsforen und ähnliches angeht. Da gab es den einen heimischen Journalisten, der mal eine kritische Frage gestellt hat, mehr nicht. Als Trainer hattest du damals ein viel, viel ruhigeres Leben.
War anschließend der Wechsel zum VfB Lübeck ein logischer nächster Schritt zu einem zumindest in Teilen professionelleren Verein?
Ich hatte mit Verl 2000/01 eine Vereinbarung, dass wir bei Klassenerhalt meinen Vertrag verlängern. Das war schon zur Winterpause absehbar. Da bekam ich im Januar den Anruf aus Lübeck und ich machte meine erste Erfahrung: Wenn undichte Stellen im Fußball entstehen, dann kommt heraus, dass man mit einem anderen Klub verhandelt. Ich wurde dann noch im Januar vom SC Verl freigestellt. Und im März 2001 hat mich dann der VfB gegen Zahlung einer Ablöse verpflichtet.
Und Ihnen die nächste Sprosse auf der Karriereleiter ermöglicht.
In Lübeck war der Aufstieg in die 2. Liga das klare Ziel. Im zweiten Jahr haben wir das erreicht, hatten eine tolle Zweitliga-Saison. Und 2004 sind wir im DFB-Pokal-Halbfinale in Bremen erst durch ein regelwidriges Tor zum 3:2 in der 119. Minute ausgeschieden. Ich weiß noch, wie ich direkt nach dem Treffer im Mittelkreis bei Schiedsrichter Lutz Michael Fröhlich stand. Er fragte: "Was machen Sie hier?" Ich: "Das war kein Tor, das war Handspiel." Er antwortete nur: "Ich muss Sie jetzt auf die Tribüne schicken." Leider stiegen wir später mit Lübeck ab. Der VfB machte mir ein Angebot für die 3. Liga. Allerdings keines, um laut "Hurra" zu schreien.
Wie gelangten Sie dann zu Alemannia Aachen?
Auf recht kuriose Weise. Ich wollte einfach gerne in der 2. Liga bleiben, hatte innerhalb von 48 Stunden zwei Anfragen: Burghausen und Unterhaching ... Das war räumlich ganz weit weg von zu Hause und mit der Aussicht verbunden, gleich wieder gegen den Abstieg spielen zu müssen. Also wartete ich ab. Es gab zuvor schon mit Jörg Schmadtke, damals Manager in Aachen, Kontakt. Ich hatte ihn einmal wegen eines Spielballs der Marke "Molten" angerufen. Aachen spielte damit und Lübeck wollte nun einen Vertrag mit derselben Firma abschließen. "Ein Top-Ball, den kannst du nehmen", hatte er mir geantwortet.
Ein Ball als Vermittler?
So fing es zumindest an. Aachen spielte außerdem im Pokal-Finale gegen Werder, das uns Lübecker ja geschlagen hatte. Ich fragte Jörg Schmadtke noch nach Endspielkarten für mich und meine Familie. Wenige Tage vorher rief er zurück und bat mich, doch schon ein bisschen früher vor dem Spiel nach Berlin ins Aachener Hotel zu kommen. Während seine und meine Kinder im Zimmer nebenan an der Playstation spielten, teilte er mir dort mit, dass sein Trainer Jörg Berger aus gesundheitlichen Gründen ausscheiden müsse und er auf der Suche nach einem Nachfolger sei … Ich habe ihm zugesagt - eine richtige Entscheidung.
Haben Sie auch falsche Entscheidungen getroffen?
Aus heutiger Sicht beim schnellen Wechsel von Gladbach zum HSV. Nach Gladbach war ich ziemlich durch, da war sehr viel Emotion dabei. Als am 1. April 2019 Max Eberl zu mir kam und sagte, dass sie im Sommer mit Marco Rose weitermachen wollten, hatte ich damit echt zu tun. Zum Ende der Saison hatte ich dann einen bakteriellen Infekt. Das letzte Spiel gegen Dortmund (0:2) wollte ich unbedingt machen, hatte aber 40 Grad Fieber. Der Arzt sagte: "Du kannst doch nicht auf die Bank."
Sie taten es - und zahlten gesundheitlich später die Zeche?
Ich habe gesundheitlich einen Fehler gemacht. Ich war vollgestopft mit Medikamenten, habe danach aber alles stehen und liegen gelassen und bin 14 Tage später Trainer in Hamburg geworden. Nach zwei oder drei Wochen haben wir dort einmal einen Waldlauf im Volkspark gemacht, bei dem ich einen Stich in der Brust spürte. Sie haben mich sofort ins Krankenhaus gebracht, Gott sei Dank nichts Gravierendes festgestellt. Aber es war so ein Warnschuss. Ich hatte nie wirkliche Pausen.
Was machte es beim HSV außerdem schwer?
Da war im September 2019 der Tod meines Vaters. Und auch drei Väter von Spielern verstarben kurz hintereinander. Das mussten wir auch alles in einem Jahr verarbeiten, wo es eigentlich um den Aufstieg ging. Dann kam Corona. Keiner wusste, wie es weitergeht. Das war wirklich mein extremstes Jahr, und wenn ich da nicht meinen langjährigen Assistenten Dirk Bremser an meiner Seite gehabt hätte, wäre es schief gegangen.
Wie meinen Sie das konkret?
Dirk hat mich seinerzeit in einigen schweren Situationen unglaublich unterstützt. Dann ist er in die Bresche gesprungen. Im Nachgang hätte ich nach Gladbach sagen sollen: Mach ein Jahr nichts! Es wäre nur eine Frage der Zeit gewesen, wann wieder ein passendes Angebot reinkommt. Aber der HSV war eben nicht irgendein Verein
Stichwort Dirk Bremser, den Sie schon 2001 in Lübeck trafen: Wäre er heute nicht Ihr idealer Partner beim VfL Bochum?
Den Versuch hat es gegeben, die Entfernung ist einfach zu groß. Dirk ist ja ein Bochumer Junge, aber inzwischen in Scharbeutz heimisch. Holstein Kiel ist auch einer seiner Lieblingsvereine. Der Kontakt ist nach wie vor gut, wir sind Freunde fürs Leben. Es war auch eine Herausforderung, mich auf andere Co-Trainer einzulassen.
Ist es Ihnen gelungen?
Mit Murat Ural und Marc-André Kruska sind wir in Bochum sehr gut aufgestellt. Beide sind hervorragende Trainer. Sie haben eine Spielervergangenheit und das spürt man, wenn man mit ihnen über Fußball spricht. Sie ergänzen sich und meine Arbeit hervorragend. Dirk fehlt mehr in anderen Momenten. Wenn es Dinge gibt, beidseitig, die man nur seinem besten Freund erzählt.
Hat er Ihnen auch mal Kontra gegeben?
Ja, aber so stelle ich mir das auch vor. Man hat immer eine gewisse Idee als Trainer und trotzdem übersieht man vielleicht bei dem einen oder anderen Spielern links und rechts etwas. Dirk beherrschte diese Rolle perfekt.
Jetzt gibt es Funktionsteams so groß wie zu Ihrer Anfangszeit die Spielerkader. Wie sehr mussten Sie sich verändern, um heute noch als Top-Trainer unterwegs zu sein?
In Nürnberg habe ich zum ersten Mal mit zwei Co-Trainern gearbeitet. Ab diesem Zeitpunkt wurden meine Trainerstäbe nach und nach vergrößert. Es ist schon eine Herausforderung für jeden Trainer einem großen Staff gerecht zu werden. Von Nürnberg nach Wolfsburg zu gehen war der eigentliche Schritt zum Top-Trainer. Das musste ich aber auch lernen, auch in ganz anderer Hinsicht.
Welcher?
Ich weiß zum Beispiel noch, wie Klaus Allofs mir sagte, ich solle den gegnerischen Trainer und die Spieler nicht mehr so freundlich begrüßen: "Du willst ein Top-Trainer werden. Und Top-Trainer begrüßen sich ganz kurz und dann ist gut. Die wollen auch die Punkte. Wenn du sie geschlagen hast, dann kannst du sie umarmen." Das habe ich mir echt zu Herzen genommen
Beim großen 2:0-Sieg im April 2016 in der Champions League gegen Real Madrid coachte Zinedine Zidane die Spanier. Haben Sie den dann maximal unfreundlich in Wolfsburg begrüßt?
Nein, aber reservierter. Ich bin gar nicht mehr rausgegangen vor dem Spiel, bin einfach für mich geblieben, abgesehen vom kurzen Handshake vor dem Anpfiff. Nach dem Spiel, okay, da war dann auch mal ein Smalltalk möglich.
War Zidane nach dem 0:2 in Wolfsburg verärgert?
Wir hatten ja nie so den Kontakt. Aber es gibt später immer diese UEFA-Champions-League-Nachbetrachtung mit den 16 Trainern der Achtelfinalisten aus der vorhergehenden Saison. Da saßen unter anderem José Mourinho, Arsene Wenger, Unai Emery, Sir Alex Ferguson, der das alles leitete, und eben Zidane. Der sagte: "Ja, ich bin natürlich sehr glücklich, dass wir den Titel geholt haben. Da drüben sitzt ein Kollege, der ihn fast gewonnen hätte, wenn nicht wir." Das war für mich der Ritterschlag. Real hatte ja ewig kein Spiel verloren, bis sie dann zu uns kamen ...
Mussten Sie sich in solchen Situationen mal kneifen oder hätten Sie sie für möglich gehalten, als Sie einst im Trainerlehrgang den Arm hoben?
Nein, das hältst du natürlich nicht für möglich. Aber ich hatte immer meine Ziele vor Augen.
War Wolfsburg für Sie der Schritt durch die Tür zur großen Fußballwelt?
Sicherlich, wenn ich nur auf Ergebnisse und Höhepunkte schaue. Champions-League-Viertelfinale, 2:0 gegen Real Madrid, logischerweise war das ein absolutes Highlight. Aber darüber habe ich mich nie definiert. Ein Höhepunkt war es für mich genauso, als wir 2004 im UEFA-Cup mit Alemannia Aachen gegen den OSC Lille mit 1:0 gewannen. Das war ein perfektes Spiel
In Wolfsburg aber wurden Sie Pokalsieger, Vizemeister, gewannen den Supercup, wurden Trainer des Jahres.
Natürlich hatte das alles großen Einfluss auf mein Leben als Trainer. Das merke ich auch heute noch: Als ich gerade über Pfingsten in Salzburg war, wurde ich schon häufig erkannt. Das hat sicherlich mit meiner Zeit in Wolfsburg zu tun.
Sie trainierten dort Spieler wie Naldo, Luiz Gustavo, Kevin De Bruyne oder Ivan Perisic. Mussten Sie beim VfL den Umgang mit Stars lernen?
Mein erster richtiger Star war Erik Meijer in Aachen. Er war in Hamburg, in Liverpool, der hatte schon was gesehen in seiner Karriere. Dem mal zu sagen, dass er auf die Bank muss, das war meine erste richtige Herausforderung. Das war nicht einfach. Aber ich habe gemerkt: Erik hat es verstanden, wie ich es ihm vermittelt habe.
Und dann gab es in Wolfsburg noch Nicklas Bendtner.
Oh ja. Klaus Allofs und ich hatten uns mit ihm getroffen, er war beim FC Arsenal auf dem absteigenden Ast. Wir hatten das Gefühl: Wenn wir den hinkriegen, dann kann das richtig gut werden.
Es wurde nur selten richtig gut.
Von seinen Voraussetzungen her war er ein Top-Stürmer, er hat auch seinen Anteil am Supercup-Sieg gegen Bayern gehabt. Ich habe mich schon geärgert, dass wir es gemeinsam nicht hinbekommen haben. Es war, glaube ich, nicht möglich.
Warum nicht?
Wir waren zu häufig unterschiedlicher Ansicht über seine Rolle innerhalb der Mannschaft. Es gab immer wieder Momente, in denen wir komplett aneinander geraten sind, und dadurch haben wir dann nicht wirklich zusammengepasst.
In seinem Buch hat Bendtner geschrieben: Dieter Hecking war der schlechteste Trainer meiner Karriere.
Wir sind einfach nicht zueinandergekommen. Er war mit 17 Jahren beim FC Arsenal, war ein Superstar, ist Millionär geworden und in einer Großstadt wie London aufgewachsen. Nicklas kam mit Lederhandschuhen zum Training, das alles passte eigentlich gar nicht zu Wolfsburg
Sie haben ihn häufig genug geschützt, etwa nach dem Flug im Januar 2015 nach Südafrika.
Das war auch eine Ausnahmesituation. Junior Malanda war gerade bei einem Autounfall verunglückt, jeder Spieler ging mit seiner Trauer anders um, so auch Nicklas. Leider hat er sich in dieser extremen Situation unpassend verhalten …
Worüber Sie sicher auch ein Buch schreiben könnten …
Es gab eine Menge Geschichten, über die man heute ja lachen kann. Wie schon gesagt, ich hätte mir gewünscht, dass unsere gemeinsame Zeit erfolgreicher gewesen wäre.
In Wolfsburg gab es mehrere "spezielle" Charaktere.
Ja, zum Beispiel Julian Draxler oder André Schürrle. Großartige Fußballer, aber für mich hat nie gezählt, ob einer Nationalspieler ist oder nicht. Für mich zählte immer die Leistung. Das war vielleicht schon ein Problem, vielleicht hätte ich aus dem einen oder anderen mehr rausholen können, wenn ich nicht gesagt hätte: Du kriegst bei mir keinen Bonus. Das ist die Hauptschwierigkeit von Trainern: Wie schaffst du es, dich immer wieder auf jeden Einzelnen so einzulassen, dass sie zu 100 Prozent ihre Leistung abrufen können?
Bei Kevin De Bruyne ist es Ihnen gelungen. Was haben Sie anders gemacht als vor Ihnen José Mourinho beim FC Chelsea?
Kevin musste man Freiheiten geben. Er war sehr introvertiert. Ich kann mich noch an unser erstes Gespräch erinnern, da saß er da und kaute an seinen Fingernägeln. Und dann ist er im Spiel explodiert. Wenn wir im Training vier gegen vier oder fünf gegen fünf gespielt haben, wollten eigentlich immer die Besten zusammen sein. Kevin suchte sich immer die aus seiner Sicht schlechteste Mannschaft, weil er denen helfen wollte.
Und wenn ihm das nicht gelungen ist?
Dann hatte er einen knallroten Kopf und spielte Eins-gegen-vier oder Eins-gegen-fünf. Das war Kevin. Als er mal im Training nicht gesprintet ist, habe ich ihn gefragt, was los ist. Seine Antwort: Trainer, ich sprinte am Samstag im Spiel. Kevin war der Unterschiedsspieler. Er konnte 90 Minuten abtauchen, dann kam ein Sprint, ein Pass, ein Torschuss und du hast das Spiel gewonnen.
War er der beste Spieler, den Sie je trainiert haben?
Ja, ohne Wenn und Aber. Wobei: Der vielleicht kompletteste Fußballer war Ivan Perisic. Der war sprintstark, der konnte ausdauernd laufen, der war beidfüßig, der war kopfballstark. Er konnte Pressing spielen und defensiv auch mal einen umgrätschen. Er hatte eine Top-Einstellung, war aber auch speziell.
Inwiefern?
Wenn alle weiße Socken trugen, hatte er schwarze an. Wenn wir vorne durch den Ausgang gegangen sind, ist er hinten rausgegangen. Das musste man ein Stück weit akzeptieren.
Zurück zu Ihnen: Sehen Sie sich als "Selfmade-Man"?
Es war jedenfalls nicht so einfach für einen, der jetzt nicht den großen Glamour verstrahlt, der wirklich übers Arbeiten kommt. Der immerhin eine gewisse Autorität, eine Aura ausstrahlt, auch eine gewisse Bodenständigkeit hat.
… sich aber keiner PR-Agentur bedient.
Ich hatte stets meinen engen Berater und Freund Uwe Kathmann an meiner Seite. Mit ihm zusammen habe ich viele richtige Entscheidungen getroffen
Sie sind also auch nie mit "Vitamin B" irgendwo reingerutscht?
Nein, es geschah wirklich alles durch meine Arbeit. Anders war nur 2006 der Wechsel von Aachen nach Hannover. Warum sollte ich Jörg Schmadtke nach dem Aufstieg sagen, dass ich nach drei Saisonspielen weg wollte? Normal hätte ich nie gehen dürfen. Wir waren Könige nach dem Aufstieg und hatten gerade in Hannover mit 3:0 gewonnen, Alemannias erster Bundesligasieg nach 36 Jahren!
Mit der Entlassung von Peter Neururer bei 96 als Folge.
Ja, und Martin Kind sagte, er will Dieter Hecking. Wir wohnten ja schon in der Nähe von Hannover und hatten privat mit einem unserer Kinder riesige Sorgen. Wir mussten mit Aachen reden, ich musste nach Hause. Da habe ich das erste Mal das Berufliche mit dem Privaten richtig verbinden können. Hauptgrund war nicht nur das Angebot von 96, sondern eben auch die familiäre Situation.
Junior Malanda haben Sie bereits angesprochen, der ist 2015 im Alter von 20 Jahren ums Leben gekommen. Zudem haben Sie in Hannover Robert Enke die Jahre vor seinem Suizid 2009 trainiert. Die schwierigsten Momente Ihrer Trainerkarriere?
Ja, keine Frage. Bei Robert habe ich mich im Nachgang immer gefragt: Wieso habe ich es nicht gesehen? Das war schmerzhaft. Ebenso der Moment, als wir erfuhren, dass Junior einen Verkehrsunfall hatte. Da mussten wir zunächst einfach funktionieren, haben instinktiv die richtige Entscheidung getroffen und sind trotzdem ins Trainingslager geflogen.
Sie haben Tränen vergossen auf der öffentlichen Pressekonferenz zuvor.
Dafür habe ich mich auch nie geschämt. Ich finde, Schwäche zu zeigen, ist eine große Stärke. Die menschliche Seite im Fußball darf nie verloren gehen. Es ist dann doch nur ein Spiel. So werde ich es immer sehen. Für mich ist das nicht nur Business.
Zeit zum Innehalten gibt es dennoch selten.
Und deshalb bewundere ich solche Trainer wie Pep Guardiola, der jetzt über so viele Jahre jeden Samstag und jeden Mittwoch spielt. Ein wahnsinniges Pensum.
Wie haben Sie es in 25 Jahren als Trainer geschafft, mal nicht an den Fußball zu denken?
Ganz schwer, wenn wir jetzt über Work-Life-Balance reden (lacht). Ich habe das eigentlich nie so gebraucht. Ich habe immer das Gefühl gehabt, ich muss alles geben, um gut zu sein. Du kannst diesen Job nicht mit 80 Prozent machen.
Weil das die Mannschaft merken würde?
Ja, die merkt das. So, wie du als Trainer auch merkst, wenn du deine Mannschaft verloren hast.
Wann war das bei Ihnen der Fall?
In Hannover. Da war bei den Jungs die Begeisterung nicht mehr da. Man spürt, dass man nicht mehr den hundertprozentigen Zugriff hat. Ich habe zu Jörg Schmadtke gesagt: Wenn ihr hier eine Aufbruchsstimmung haben wollt, dann bin ich nicht mehr der Richtige.
Sie leben privat vor den Toren der Stadt, es gab immer eine enge Bindung zu den "Roten", für die Sie ja auch aktiv spielten. Ihnen wurde damals zugetraut, eine Ära bei 96 zu begründen. Trauern Sie dieser verpassten Chance nach?
Vor der Saison 2009/10 haben wir eine sehr gute Rückrunde gespielt, dann stand ich nach dem letzten Spiel mit einer gewissen Euphorie vor der Kurve. Hinterher wurden Aussagen von mir so interpretiert, als hätte ich als Saisonziel den Europapokal ausgegeben. Das war aber überhaupt nicht gemeint. Dann haben wir eine Vorrunde gespielt, die war unterirdisch. Da kam dann Stimmung gegen mich auf, das war im Endeffekt nicht mehr zu halten
Hätten Sie mit der Erfahrung von einigen Jahren mehr als Trainer anders agiert?
Ganz klar, diese Aussage hätte ich so nicht mehr gemacht. Das sind dann Sätze, die dich bei Misserfolg sehr schnell einholen. Das gehört eben dazu. Da musst du auch wieder Ideen entwickeln: Wie kriegst du das Schiff wieder flott? Das ist mir sehr, sehr häufig gelungen, ganz wenige Male nicht. Und in Hannover war es eben so.
Gerade in Hannover, wo es langfristig gut gepasst hätte.
Klar, das hätte prima gepasst. Gerade auch mit meinem Verhältnis zu Martin Kind, den ich sehr schätze. Es gab immer wieder mal die Idee, auch mal einen Austausch in Richtung Sport-Geschäftsführer. Konkret wurde das nicht
Stichwort Wertschätzung: War das Ende bei Borussia Mönchengladbach umso schmerzhafter, weil Sie dort nicht dieses Gefühl hatten?
Ich hatte das Gefühl der Wertschätzung bis zum besagten 1. April. Mittlerweile ist die Sache längst Geschichte und ich pflege zu Max und vielen anderen Mitstreitern in Gladbach ein sehr freundschaftliches Verhältnis.
Geschäftsführer-Sport, Sportvorstand waren sie später in Nürnberg. Eigentlich aber sind sie doch lieber Trainer?
Ich hatte vorher schon immer mal damit kokettiert, den Fußball auch mal von einer anderen Seite kennenzulernen. Es war trotz allem eine richtige und wichtige Erfahrung für mich in Nürnberg, weil ich meinen Horizont noch mal ganz anders erweitern konnte. Unterm Strich war es für den Verein vielleicht nicht die sportlich erfolgreichste Zeit. Trotz alledem haben wir die Grundlage dafür gelegt, dass der Club eine vielversprechende Zukunft haben kann.
Und anschließend haben Sie wieder als Trainer übernommen. Ist das doch der Job, der sie insgesamt mehr ausfüllt?
Ich habe mit meiner Frau Kerstin und vielen nahestehenden Leuten gesprochen und gefragt: Als was seht ihr mich eigentlich? Alle haben gesagt: Für uns wirst du immer der Trainer bleiben. Du bist einer, der vermitteln kann, eine Mannschaft begeistern und formen kann. Deshalb passt Bochum ideal. Der gesamte Verein, die Region, die Mannschaft, das alles hat mir den Spaß am Trainerdasein wiedergegeben.
Wie hat sich der Umgang mit den Spielern in 25 Jahren als Trainer geändert?
Es gibt ja Trainer, die meiden die Kabine, das ist so ein spanisches Modell. Aber ich setze mich auch immer mal dazwischen, einfach um mal zu hören, was da besprochen wird, auch wenn die Jungs dann vielleicht ein bisschen reservierter sind als ohne mich. Aber ich glaube, so kannst du auch viel Druck rausnehmen, wenn du den Kontakt suchst.
Hatten Sie irgendwann mal das Gefühl, dass Sie die Sprache der Spieler nicht mehr sprechen?
Nein, eigentlich nie. Weil ich auch das große Glück habe, fünf Kinder zu haben, die jetzt zwischen 23 und 39 sind. Die haben mir erheblich dabei geholfen, mal die Denkweise eines 20-Jährigen mitzukriegen.
Nervt Sie das, wenn die Jungs ständig das Handy vor Augen haben?
Naja, es ist schon so, wenn du nach dem Spiel in die Kabine gehst und zwei Minuten später sitzen da 20 Spieler und schauen, was an Nachrichten reingekommen ist. Aber du kannst es nicht mehr einfangen. Da musst du dich demnächst sicher auch darauf einstellen, dass Fernsehkameras in der Kabine sind. Ich kann mir aber nicht vorstellen, als Trainer verkabelt am Spielfeldrand zu stehen. Dann faltest du einen Spieler zusammen, und 150.000 Zuschauer am Fernseher hören zu? Das kann nicht sein.
Beim beliebten Fünf-gegen-zwei im Training mischen Sie nicht mehr mit wie vor 25 Jahren. Wann hat das aufgehört?
Oh, da muss ich jetzt echt überlegen. In Hamburg habe ich zum Teil noch ein bisschen mitgespielt, vorher in Wolfsburg auch, mit De Bruyne und Co. Da war ich der beste Mann (lacht). Laufen musste ich ja nicht. Schnelle Bewegung, das ist mit dem Knie nicht mehr ganz so einfach. Aber voriges Jahr bin ich mit meinen Söhnen in Rom den ersten Halbmarathon gelaufen, das war ein tolles Erlebnis. Ansonsten richte ich es so ein, dass ich drei oder vier Mal in der Woche die Laufschuhe anziehe, lockeres Tempo, zehn oder elf Kilometer. Da kriege ich den Kopf frei.
Sie waren in 25 Jahren als Trainer nie im Ausland. Fehlt da etwas?
Für mich war das nie ein großes Thema, ich habe es auch nie aktiv angegangen. Es gab verrückte Dinge, nach Ägypten, Saudi-Arabien hätte ich gehen können. Ich wollte immer in der Bundesliga arbeiten, diese Liga hat für mich nach wie vor die größte Anziehungskraft.
Sie sind fit, Sie fühlen sich wohl, wie lange geht es also noch weiter als Trainer?
Ich fühle mich nicht wie 60, ich fühle mich körperlich gut. Ich empfinde das ja nicht als Stress, ich empfinde das nach wie vor als Spaß. Mir macht das Spaß auf dem Trainingsplatz, an der Linie zu stehen, mich mit Kollegen zu messen, mich mit anderen Mannschaften zu messen. Und, ganz klar, es macht auch Spaß, in der Öffentlichkeit zu stehen.
Werden Sie also wie Friedhelm Funkel auch mit über 70 noch dabei sein?
Ich hoffe einfach, dass ich den Zeitpunkt erwische, wo ich sage: Es reicht. Aber ich bin eben auch kein Mensch für zu Hause, das wird meine Frau bestätigen. Wenn ich im Sommer vier Wochen Pause hatte, dann juckt es mich wieder, dann muss es wieder losgehen. Ich bin jetzt seit meinem siebten Lebensjahr praktisch jedes Wochenende auf dem Fußballplatz. Das ist mein Leben, das ist meine Passion. Und solange ich das Gefühl habe, ich kann das vermitteln, werde ich weitermachen.
Hätten Sie denn auch Lust, jetzt noch mal eben eine Klub-WM durchzuplanen?
Nein. Und wenn der FC Bayern gegen Auckland 10:0 gewinnt, dann hinterfrage ich schon die Sinnhaftigkeit dieser Geschichte. Die Top-Spieler werden in diesem Jahr praktisch keine Pause haben. Im August beginnt die Saison, dann kommt schon wieder WM-Qualifikation, Nationalmannschaft und am Ende der nächsten Saison steht die WM. Ich weiß nicht, wie das funktionieren soll.
Gibt es eine besondere Station, die Sie noch reizen würde?
Verrückte Dinge schließe ich komplett aus. Aber was mich noch mal reizen würde, wäre irgendwann vielleicht ein Amt als Nationaltrainer. Mit einer Nationalmannschaft bei der WM zu sein, das wäre ein toller Abschluss meiner Karriere.
[url=https://www.kicker.de/hecking-im-grossen-interview-eine-work-life-balance-habe-ich-nie-gebraucht-1126627/artikel] Quelle: Kicker.de [/
Fritz, Franz und Sissi sind auch da. Die drei Hunde der Familie. Großer Empfang für ein großes Interview. Dieter Hecking lädt den kicker ein auf sein Grundstück in der Nähe von Bad Nenndorf. Das ist für den Bochumer Trainer der Ort zum Entspannen und Krafttanken. Hier entwickelt er Ideen. 25 Jahre arbeitet er nun als Fußballlehrer. Viel Zeit für ein ausführliches Gespräch über seinen Beruf.
Gab es eine Art Initialzündung für Ihre Trainerkarriere, Herr Hecking?
Der Ursprung liegt bei Reinhold Fanz, meinem letzten Coach als Spieler in Braunschweig 1999/2000. Er hat mich auf die Spur gebracht. Es war zunächst vorgesehen, in Braunschweig bei ihm als Co-Trainer einzusteigen. Es gab aber schon zwei Assistenten, einen dritten konnte sich die Eintracht nicht leisten
War es denn von Anfang an Ihr Plan, 25 plus X Jahre Trainer zu sein?
Ich wollte zumindest immer besser werden, immer weiterkommen.
Aber als Sie anfingen, waren Sie gerade 35. Gab es da tatsächlich schon so langfristige Überlegungen?
Es war zumindest für mich immer schon klar, dass ich mit 50 einmal einen Titel gewonnen haben wollte.
War Fanz als Trainer dabei stets Ihr Vorbild?
Reinhold war sicherlich schon auf seine Art ein Impulsgeber für mich. So wie er eine Mannschaft geführt hat und mit Menschen umgegangen ist. Aber es gab nie so den einen, von dem ich sage: Den will ich kopieren. Ich habe Trainer erlebt von "geht gar nicht" bis hin zu "von dem könnte man was mitnehmen".
In Braunschweig endete Ihre aktive Laufbahn. Wie gelangten Sie so schnell ins Trainergeschäft?
Ich hatte mich schon gleich im Jahr 2000 für die Fußballlehrer-Ausbildung angemeldet. Da saßen dann 25 angehende Fußball-Lehrer und Erich Rutemöller, der damals den Lehrgang geleitet hat, fragte in die Runde: "Wer will denn von euch in der Bundesliga landen?" Ich war der Einzige, der aufgezeigt hat ... Ich habe es nie verstanden, dass in dem Lehrgang kein anderer so richtig offensiv damit umgegangen ist.
Dann suchte zugleich der SC Verl einen jungen Trainer für die Regionalliga.
Ja, und das war so der Einstieg.
Verl spielte immerhin drittklassig, aber längst nicht Bundesliga …
… aber für den Anfang war das anspruchsvoll genug. Ich war ja noch zur Ausbildung immer bis Donnerstag in Köln, dann hatte ich erst Zeit für Verl. Trotzdem haben wir uns vom Abstiegskandidaten zu einer Mannschaft entwickelt, die fast ganz vorne dabei war
Gibt es seit Verl noch Dinge, die sich in 25 Jahren nicht verändert haben?
Nun, der Trainerstab waren damals Dr. Jörg Weber und ich. Er war mein Co-Trainer und das war es. Unvorstellbar wäre das in der heutigen Zeit, dass wir da zu zweit eine Drittliga-Saison planten. Aber man konnte den Job so von der Pike auf lernen. Da waren für mich Verl, dann Lübeck optimale Standorte. Ich durfte Fehler machen, das fiel nicht so auf. Es war natürlich auch eine ganz andere Zeit, was Social Media, Vereinsforen und ähnliches angeht. Da gab es den einen heimischen Journalisten, der mal eine kritische Frage gestellt hat, mehr nicht. Als Trainer hattest du damals ein viel, viel ruhigeres Leben.
War anschließend der Wechsel zum VfB Lübeck ein logischer nächster Schritt zu einem zumindest in Teilen professionelleren Verein?
Ich hatte mit Verl 2000/01 eine Vereinbarung, dass wir bei Klassenerhalt meinen Vertrag verlängern. Das war schon zur Winterpause absehbar. Da bekam ich im Januar den Anruf aus Lübeck und ich machte meine erste Erfahrung: Wenn undichte Stellen im Fußball entstehen, dann kommt heraus, dass man mit einem anderen Klub verhandelt. Ich wurde dann noch im Januar vom SC Verl freigestellt. Und im März 2001 hat mich dann der VfB gegen Zahlung einer Ablöse verpflichtet.
Und Ihnen die nächste Sprosse auf der Karriereleiter ermöglicht.
In Lübeck war der Aufstieg in die 2. Liga das klare Ziel. Im zweiten Jahr haben wir das erreicht, hatten eine tolle Zweitliga-Saison. Und 2004 sind wir im DFB-Pokal-Halbfinale in Bremen erst durch ein regelwidriges Tor zum 3:2 in der 119. Minute ausgeschieden. Ich weiß noch, wie ich direkt nach dem Treffer im Mittelkreis bei Schiedsrichter Lutz Michael Fröhlich stand. Er fragte: "Was machen Sie hier?" Ich: "Das war kein Tor, das war Handspiel." Er antwortete nur: "Ich muss Sie jetzt auf die Tribüne schicken." Leider stiegen wir später mit Lübeck ab. Der VfB machte mir ein Angebot für die 3. Liga. Allerdings keines, um laut "Hurra" zu schreien.
Wie gelangten Sie dann zu Alemannia Aachen?
Auf recht kuriose Weise. Ich wollte einfach gerne in der 2. Liga bleiben, hatte innerhalb von 48 Stunden zwei Anfragen: Burghausen und Unterhaching ... Das war räumlich ganz weit weg von zu Hause und mit der Aussicht verbunden, gleich wieder gegen den Abstieg spielen zu müssen. Also wartete ich ab. Es gab zuvor schon mit Jörg Schmadtke, damals Manager in Aachen, Kontakt. Ich hatte ihn einmal wegen eines Spielballs der Marke "Molten" angerufen. Aachen spielte damit und Lübeck wollte nun einen Vertrag mit derselben Firma abschließen. "Ein Top-Ball, den kannst du nehmen", hatte er mir geantwortet.
Ein Ball als Vermittler?
So fing es zumindest an. Aachen spielte außerdem im Pokal-Finale gegen Werder, das uns Lübecker ja geschlagen hatte. Ich fragte Jörg Schmadtke noch nach Endspielkarten für mich und meine Familie. Wenige Tage vorher rief er zurück und bat mich, doch schon ein bisschen früher vor dem Spiel nach Berlin ins Aachener Hotel zu kommen. Während seine und meine Kinder im Zimmer nebenan an der Playstation spielten, teilte er mir dort mit, dass sein Trainer Jörg Berger aus gesundheitlichen Gründen ausscheiden müsse und er auf der Suche nach einem Nachfolger sei … Ich habe ihm zugesagt - eine richtige Entscheidung.
Haben Sie auch falsche Entscheidungen getroffen?
Aus heutiger Sicht beim schnellen Wechsel von Gladbach zum HSV. Nach Gladbach war ich ziemlich durch, da war sehr viel Emotion dabei. Als am 1. April 2019 Max Eberl zu mir kam und sagte, dass sie im Sommer mit Marco Rose weitermachen wollten, hatte ich damit echt zu tun. Zum Ende der Saison hatte ich dann einen bakteriellen Infekt. Das letzte Spiel gegen Dortmund (0:2) wollte ich unbedingt machen, hatte aber 40 Grad Fieber. Der Arzt sagte: "Du kannst doch nicht auf die Bank."
Sie taten es - und zahlten gesundheitlich später die Zeche?
Ich habe gesundheitlich einen Fehler gemacht. Ich war vollgestopft mit Medikamenten, habe danach aber alles stehen und liegen gelassen und bin 14 Tage später Trainer in Hamburg geworden. Nach zwei oder drei Wochen haben wir dort einmal einen Waldlauf im Volkspark gemacht, bei dem ich einen Stich in der Brust spürte. Sie haben mich sofort ins Krankenhaus gebracht, Gott sei Dank nichts Gravierendes festgestellt. Aber es war so ein Warnschuss. Ich hatte nie wirkliche Pausen.
Was machte es beim HSV außerdem schwer?
Da war im September 2019 der Tod meines Vaters. Und auch drei Väter von Spielern verstarben kurz hintereinander. Das mussten wir auch alles in einem Jahr verarbeiten, wo es eigentlich um den Aufstieg ging. Dann kam Corona. Keiner wusste, wie es weitergeht. Das war wirklich mein extremstes Jahr, und wenn ich da nicht meinen langjährigen Assistenten Dirk Bremser an meiner Seite gehabt hätte, wäre es schief gegangen.
Wie meinen Sie das konkret?
Dirk hat mich seinerzeit in einigen schweren Situationen unglaublich unterstützt. Dann ist er in die Bresche gesprungen. Im Nachgang hätte ich nach Gladbach sagen sollen: Mach ein Jahr nichts! Es wäre nur eine Frage der Zeit gewesen, wann wieder ein passendes Angebot reinkommt. Aber der HSV war eben nicht irgendein Verein
Stichwort Dirk Bremser, den Sie schon 2001 in Lübeck trafen: Wäre er heute nicht Ihr idealer Partner beim VfL Bochum?
Den Versuch hat es gegeben, die Entfernung ist einfach zu groß. Dirk ist ja ein Bochumer Junge, aber inzwischen in Scharbeutz heimisch. Holstein Kiel ist auch einer seiner Lieblingsvereine. Der Kontakt ist nach wie vor gut, wir sind Freunde fürs Leben. Es war auch eine Herausforderung, mich auf andere Co-Trainer einzulassen.
Ist es Ihnen gelungen?
Mit Murat Ural und Marc-André Kruska sind wir in Bochum sehr gut aufgestellt. Beide sind hervorragende Trainer. Sie haben eine Spielervergangenheit und das spürt man, wenn man mit ihnen über Fußball spricht. Sie ergänzen sich und meine Arbeit hervorragend. Dirk fehlt mehr in anderen Momenten. Wenn es Dinge gibt, beidseitig, die man nur seinem besten Freund erzählt.
Hat er Ihnen auch mal Kontra gegeben?
Ja, aber so stelle ich mir das auch vor. Man hat immer eine gewisse Idee als Trainer und trotzdem übersieht man vielleicht bei dem einen oder anderen Spielern links und rechts etwas. Dirk beherrschte diese Rolle perfekt.
Jetzt gibt es Funktionsteams so groß wie zu Ihrer Anfangszeit die Spielerkader. Wie sehr mussten Sie sich verändern, um heute noch als Top-Trainer unterwegs zu sein?
In Nürnberg habe ich zum ersten Mal mit zwei Co-Trainern gearbeitet. Ab diesem Zeitpunkt wurden meine Trainerstäbe nach und nach vergrößert. Es ist schon eine Herausforderung für jeden Trainer einem großen Staff gerecht zu werden. Von Nürnberg nach Wolfsburg zu gehen war der eigentliche Schritt zum Top-Trainer. Das musste ich aber auch lernen, auch in ganz anderer Hinsicht.
Welcher?
Ich weiß zum Beispiel noch, wie Klaus Allofs mir sagte, ich solle den gegnerischen Trainer und die Spieler nicht mehr so freundlich begrüßen: "Du willst ein Top-Trainer werden. Und Top-Trainer begrüßen sich ganz kurz und dann ist gut. Die wollen auch die Punkte. Wenn du sie geschlagen hast, dann kannst du sie umarmen." Das habe ich mir echt zu Herzen genommen
Beim großen 2:0-Sieg im April 2016 in der Champions League gegen Real Madrid coachte Zinedine Zidane die Spanier. Haben Sie den dann maximal unfreundlich in Wolfsburg begrüßt?
Nein, aber reservierter. Ich bin gar nicht mehr rausgegangen vor dem Spiel, bin einfach für mich geblieben, abgesehen vom kurzen Handshake vor dem Anpfiff. Nach dem Spiel, okay, da war dann auch mal ein Smalltalk möglich.
War Zidane nach dem 0:2 in Wolfsburg verärgert?
Wir hatten ja nie so den Kontakt. Aber es gibt später immer diese UEFA-Champions-League-Nachbetrachtung mit den 16 Trainern der Achtelfinalisten aus der vorhergehenden Saison. Da saßen unter anderem José Mourinho, Arsene Wenger, Unai Emery, Sir Alex Ferguson, der das alles leitete, und eben Zidane. Der sagte: "Ja, ich bin natürlich sehr glücklich, dass wir den Titel geholt haben. Da drüben sitzt ein Kollege, der ihn fast gewonnen hätte, wenn nicht wir." Das war für mich der Ritterschlag. Real hatte ja ewig kein Spiel verloren, bis sie dann zu uns kamen ...
Mussten Sie sich in solchen Situationen mal kneifen oder hätten Sie sie für möglich gehalten, als Sie einst im Trainerlehrgang den Arm hoben?
Nein, das hältst du natürlich nicht für möglich. Aber ich hatte immer meine Ziele vor Augen.
War Wolfsburg für Sie der Schritt durch die Tür zur großen Fußballwelt?
Sicherlich, wenn ich nur auf Ergebnisse und Höhepunkte schaue. Champions-League-Viertelfinale, 2:0 gegen Real Madrid, logischerweise war das ein absolutes Highlight. Aber darüber habe ich mich nie definiert. Ein Höhepunkt war es für mich genauso, als wir 2004 im UEFA-Cup mit Alemannia Aachen gegen den OSC Lille mit 1:0 gewannen. Das war ein perfektes Spiel
In Wolfsburg aber wurden Sie Pokalsieger, Vizemeister, gewannen den Supercup, wurden Trainer des Jahres.
Natürlich hatte das alles großen Einfluss auf mein Leben als Trainer. Das merke ich auch heute noch: Als ich gerade über Pfingsten in Salzburg war, wurde ich schon häufig erkannt. Das hat sicherlich mit meiner Zeit in Wolfsburg zu tun.
Sie trainierten dort Spieler wie Naldo, Luiz Gustavo, Kevin De Bruyne oder Ivan Perisic. Mussten Sie beim VfL den Umgang mit Stars lernen?
Mein erster richtiger Star war Erik Meijer in Aachen. Er war in Hamburg, in Liverpool, der hatte schon was gesehen in seiner Karriere. Dem mal zu sagen, dass er auf die Bank muss, das war meine erste richtige Herausforderung. Das war nicht einfach. Aber ich habe gemerkt: Erik hat es verstanden, wie ich es ihm vermittelt habe.
Und dann gab es in Wolfsburg noch Nicklas Bendtner.
Oh ja. Klaus Allofs und ich hatten uns mit ihm getroffen, er war beim FC Arsenal auf dem absteigenden Ast. Wir hatten das Gefühl: Wenn wir den hinkriegen, dann kann das richtig gut werden.
Es wurde nur selten richtig gut.
Von seinen Voraussetzungen her war er ein Top-Stürmer, er hat auch seinen Anteil am Supercup-Sieg gegen Bayern gehabt. Ich habe mich schon geärgert, dass wir es gemeinsam nicht hinbekommen haben. Es war, glaube ich, nicht möglich.
Warum nicht?
Wir waren zu häufig unterschiedlicher Ansicht über seine Rolle innerhalb der Mannschaft. Es gab immer wieder Momente, in denen wir komplett aneinander geraten sind, und dadurch haben wir dann nicht wirklich zusammengepasst.
In seinem Buch hat Bendtner geschrieben: Dieter Hecking war der schlechteste Trainer meiner Karriere.
Wir sind einfach nicht zueinandergekommen. Er war mit 17 Jahren beim FC Arsenal, war ein Superstar, ist Millionär geworden und in einer Großstadt wie London aufgewachsen. Nicklas kam mit Lederhandschuhen zum Training, das alles passte eigentlich gar nicht zu Wolfsburg
Sie haben ihn häufig genug geschützt, etwa nach dem Flug im Januar 2015 nach Südafrika.
Das war auch eine Ausnahmesituation. Junior Malanda war gerade bei einem Autounfall verunglückt, jeder Spieler ging mit seiner Trauer anders um, so auch Nicklas. Leider hat er sich in dieser extremen Situation unpassend verhalten …
Worüber Sie sicher auch ein Buch schreiben könnten …
Es gab eine Menge Geschichten, über die man heute ja lachen kann. Wie schon gesagt, ich hätte mir gewünscht, dass unsere gemeinsame Zeit erfolgreicher gewesen wäre.
In Wolfsburg gab es mehrere "spezielle" Charaktere.
Ja, zum Beispiel Julian Draxler oder André Schürrle. Großartige Fußballer, aber für mich hat nie gezählt, ob einer Nationalspieler ist oder nicht. Für mich zählte immer die Leistung. Das war vielleicht schon ein Problem, vielleicht hätte ich aus dem einen oder anderen mehr rausholen können, wenn ich nicht gesagt hätte: Du kriegst bei mir keinen Bonus. Das ist die Hauptschwierigkeit von Trainern: Wie schaffst du es, dich immer wieder auf jeden Einzelnen so einzulassen, dass sie zu 100 Prozent ihre Leistung abrufen können?
Bei Kevin De Bruyne ist es Ihnen gelungen. Was haben Sie anders gemacht als vor Ihnen José Mourinho beim FC Chelsea?
Kevin musste man Freiheiten geben. Er war sehr introvertiert. Ich kann mich noch an unser erstes Gespräch erinnern, da saß er da und kaute an seinen Fingernägeln. Und dann ist er im Spiel explodiert. Wenn wir im Training vier gegen vier oder fünf gegen fünf gespielt haben, wollten eigentlich immer die Besten zusammen sein. Kevin suchte sich immer die aus seiner Sicht schlechteste Mannschaft, weil er denen helfen wollte.
Und wenn ihm das nicht gelungen ist?
Dann hatte er einen knallroten Kopf und spielte Eins-gegen-vier oder Eins-gegen-fünf. Das war Kevin. Als er mal im Training nicht gesprintet ist, habe ich ihn gefragt, was los ist. Seine Antwort: Trainer, ich sprinte am Samstag im Spiel. Kevin war der Unterschiedsspieler. Er konnte 90 Minuten abtauchen, dann kam ein Sprint, ein Pass, ein Torschuss und du hast das Spiel gewonnen.
War er der beste Spieler, den Sie je trainiert haben?
Ja, ohne Wenn und Aber. Wobei: Der vielleicht kompletteste Fußballer war Ivan Perisic. Der war sprintstark, der konnte ausdauernd laufen, der war beidfüßig, der war kopfballstark. Er konnte Pressing spielen und defensiv auch mal einen umgrätschen. Er hatte eine Top-Einstellung, war aber auch speziell.
Inwiefern?
Wenn alle weiße Socken trugen, hatte er schwarze an. Wenn wir vorne durch den Ausgang gegangen sind, ist er hinten rausgegangen. Das musste man ein Stück weit akzeptieren.
Zurück zu Ihnen: Sehen Sie sich als "Selfmade-Man"?
Es war jedenfalls nicht so einfach für einen, der jetzt nicht den großen Glamour verstrahlt, der wirklich übers Arbeiten kommt. Der immerhin eine gewisse Autorität, eine Aura ausstrahlt, auch eine gewisse Bodenständigkeit hat.
… sich aber keiner PR-Agentur bedient.
Ich hatte stets meinen engen Berater und Freund Uwe Kathmann an meiner Seite. Mit ihm zusammen habe ich viele richtige Entscheidungen getroffen
Sie sind also auch nie mit "Vitamin B" irgendwo reingerutscht?
Nein, es geschah wirklich alles durch meine Arbeit. Anders war nur 2006 der Wechsel von Aachen nach Hannover. Warum sollte ich Jörg Schmadtke nach dem Aufstieg sagen, dass ich nach drei Saisonspielen weg wollte? Normal hätte ich nie gehen dürfen. Wir waren Könige nach dem Aufstieg und hatten gerade in Hannover mit 3:0 gewonnen, Alemannias erster Bundesligasieg nach 36 Jahren!
Mit der Entlassung von Peter Neururer bei 96 als Folge.
Ja, und Martin Kind sagte, er will Dieter Hecking. Wir wohnten ja schon in der Nähe von Hannover und hatten privat mit einem unserer Kinder riesige Sorgen. Wir mussten mit Aachen reden, ich musste nach Hause. Da habe ich das erste Mal das Berufliche mit dem Privaten richtig verbinden können. Hauptgrund war nicht nur das Angebot von 96, sondern eben auch die familiäre Situation.
Junior Malanda haben Sie bereits angesprochen, der ist 2015 im Alter von 20 Jahren ums Leben gekommen. Zudem haben Sie in Hannover Robert Enke die Jahre vor seinem Suizid 2009 trainiert. Die schwierigsten Momente Ihrer Trainerkarriere?
Ja, keine Frage. Bei Robert habe ich mich im Nachgang immer gefragt: Wieso habe ich es nicht gesehen? Das war schmerzhaft. Ebenso der Moment, als wir erfuhren, dass Junior einen Verkehrsunfall hatte. Da mussten wir zunächst einfach funktionieren, haben instinktiv die richtige Entscheidung getroffen und sind trotzdem ins Trainingslager geflogen.
Sie haben Tränen vergossen auf der öffentlichen Pressekonferenz zuvor.
Dafür habe ich mich auch nie geschämt. Ich finde, Schwäche zu zeigen, ist eine große Stärke. Die menschliche Seite im Fußball darf nie verloren gehen. Es ist dann doch nur ein Spiel. So werde ich es immer sehen. Für mich ist das nicht nur Business.
Zeit zum Innehalten gibt es dennoch selten.
Und deshalb bewundere ich solche Trainer wie Pep Guardiola, der jetzt über so viele Jahre jeden Samstag und jeden Mittwoch spielt. Ein wahnsinniges Pensum.
Wie haben Sie es in 25 Jahren als Trainer geschafft, mal nicht an den Fußball zu denken?
Ganz schwer, wenn wir jetzt über Work-Life-Balance reden (lacht). Ich habe das eigentlich nie so gebraucht. Ich habe immer das Gefühl gehabt, ich muss alles geben, um gut zu sein. Du kannst diesen Job nicht mit 80 Prozent machen.
Weil das die Mannschaft merken würde?
Ja, die merkt das. So, wie du als Trainer auch merkst, wenn du deine Mannschaft verloren hast.
Wann war das bei Ihnen der Fall?
In Hannover. Da war bei den Jungs die Begeisterung nicht mehr da. Man spürt, dass man nicht mehr den hundertprozentigen Zugriff hat. Ich habe zu Jörg Schmadtke gesagt: Wenn ihr hier eine Aufbruchsstimmung haben wollt, dann bin ich nicht mehr der Richtige.
Sie leben privat vor den Toren der Stadt, es gab immer eine enge Bindung zu den "Roten", für die Sie ja auch aktiv spielten. Ihnen wurde damals zugetraut, eine Ära bei 96 zu begründen. Trauern Sie dieser verpassten Chance nach?
Vor der Saison 2009/10 haben wir eine sehr gute Rückrunde gespielt, dann stand ich nach dem letzten Spiel mit einer gewissen Euphorie vor der Kurve. Hinterher wurden Aussagen von mir so interpretiert, als hätte ich als Saisonziel den Europapokal ausgegeben. Das war aber überhaupt nicht gemeint. Dann haben wir eine Vorrunde gespielt, die war unterirdisch. Da kam dann Stimmung gegen mich auf, das war im Endeffekt nicht mehr zu halten
Hätten Sie mit der Erfahrung von einigen Jahren mehr als Trainer anders agiert?
Ganz klar, diese Aussage hätte ich so nicht mehr gemacht. Das sind dann Sätze, die dich bei Misserfolg sehr schnell einholen. Das gehört eben dazu. Da musst du auch wieder Ideen entwickeln: Wie kriegst du das Schiff wieder flott? Das ist mir sehr, sehr häufig gelungen, ganz wenige Male nicht. Und in Hannover war es eben so.
Gerade in Hannover, wo es langfristig gut gepasst hätte.
Klar, das hätte prima gepasst. Gerade auch mit meinem Verhältnis zu Martin Kind, den ich sehr schätze. Es gab immer wieder mal die Idee, auch mal einen Austausch in Richtung Sport-Geschäftsführer. Konkret wurde das nicht
Stichwort Wertschätzung: War das Ende bei Borussia Mönchengladbach umso schmerzhafter, weil Sie dort nicht dieses Gefühl hatten?
Ich hatte das Gefühl der Wertschätzung bis zum besagten 1. April. Mittlerweile ist die Sache längst Geschichte und ich pflege zu Max und vielen anderen Mitstreitern in Gladbach ein sehr freundschaftliches Verhältnis.
Geschäftsführer-Sport, Sportvorstand waren sie später in Nürnberg. Eigentlich aber sind sie doch lieber Trainer?
Ich hatte vorher schon immer mal damit kokettiert, den Fußball auch mal von einer anderen Seite kennenzulernen. Es war trotz allem eine richtige und wichtige Erfahrung für mich in Nürnberg, weil ich meinen Horizont noch mal ganz anders erweitern konnte. Unterm Strich war es für den Verein vielleicht nicht die sportlich erfolgreichste Zeit. Trotz alledem haben wir die Grundlage dafür gelegt, dass der Club eine vielversprechende Zukunft haben kann.
Und anschließend haben Sie wieder als Trainer übernommen. Ist das doch der Job, der sie insgesamt mehr ausfüllt?
Ich habe mit meiner Frau Kerstin und vielen nahestehenden Leuten gesprochen und gefragt: Als was seht ihr mich eigentlich? Alle haben gesagt: Für uns wirst du immer der Trainer bleiben. Du bist einer, der vermitteln kann, eine Mannschaft begeistern und formen kann. Deshalb passt Bochum ideal. Der gesamte Verein, die Region, die Mannschaft, das alles hat mir den Spaß am Trainerdasein wiedergegeben.
Wie hat sich der Umgang mit den Spielern in 25 Jahren als Trainer geändert?
Es gibt ja Trainer, die meiden die Kabine, das ist so ein spanisches Modell. Aber ich setze mich auch immer mal dazwischen, einfach um mal zu hören, was da besprochen wird, auch wenn die Jungs dann vielleicht ein bisschen reservierter sind als ohne mich. Aber ich glaube, so kannst du auch viel Druck rausnehmen, wenn du den Kontakt suchst.
Hatten Sie irgendwann mal das Gefühl, dass Sie die Sprache der Spieler nicht mehr sprechen?
Nein, eigentlich nie. Weil ich auch das große Glück habe, fünf Kinder zu haben, die jetzt zwischen 23 und 39 sind. Die haben mir erheblich dabei geholfen, mal die Denkweise eines 20-Jährigen mitzukriegen.
Nervt Sie das, wenn die Jungs ständig das Handy vor Augen haben?
Naja, es ist schon so, wenn du nach dem Spiel in die Kabine gehst und zwei Minuten später sitzen da 20 Spieler und schauen, was an Nachrichten reingekommen ist. Aber du kannst es nicht mehr einfangen. Da musst du dich demnächst sicher auch darauf einstellen, dass Fernsehkameras in der Kabine sind. Ich kann mir aber nicht vorstellen, als Trainer verkabelt am Spielfeldrand zu stehen. Dann faltest du einen Spieler zusammen, und 150.000 Zuschauer am Fernseher hören zu? Das kann nicht sein.
Beim beliebten Fünf-gegen-zwei im Training mischen Sie nicht mehr mit wie vor 25 Jahren. Wann hat das aufgehört?
Oh, da muss ich jetzt echt überlegen. In Hamburg habe ich zum Teil noch ein bisschen mitgespielt, vorher in Wolfsburg auch, mit De Bruyne und Co. Da war ich der beste Mann (lacht). Laufen musste ich ja nicht. Schnelle Bewegung, das ist mit dem Knie nicht mehr ganz so einfach. Aber voriges Jahr bin ich mit meinen Söhnen in Rom den ersten Halbmarathon gelaufen, das war ein tolles Erlebnis. Ansonsten richte ich es so ein, dass ich drei oder vier Mal in der Woche die Laufschuhe anziehe, lockeres Tempo, zehn oder elf Kilometer. Da kriege ich den Kopf frei.
Sie waren in 25 Jahren als Trainer nie im Ausland. Fehlt da etwas?
Für mich war das nie ein großes Thema, ich habe es auch nie aktiv angegangen. Es gab verrückte Dinge, nach Ägypten, Saudi-Arabien hätte ich gehen können. Ich wollte immer in der Bundesliga arbeiten, diese Liga hat für mich nach wie vor die größte Anziehungskraft.
Sie sind fit, Sie fühlen sich wohl, wie lange geht es also noch weiter als Trainer?
Ich fühle mich nicht wie 60, ich fühle mich körperlich gut. Ich empfinde das ja nicht als Stress, ich empfinde das nach wie vor als Spaß. Mir macht das Spaß auf dem Trainingsplatz, an der Linie zu stehen, mich mit Kollegen zu messen, mich mit anderen Mannschaften zu messen. Und, ganz klar, es macht auch Spaß, in der Öffentlichkeit zu stehen.
Werden Sie also wie Friedhelm Funkel auch mit über 70 noch dabei sein?
Ich hoffe einfach, dass ich den Zeitpunkt erwische, wo ich sage: Es reicht. Aber ich bin eben auch kein Mensch für zu Hause, das wird meine Frau bestätigen. Wenn ich im Sommer vier Wochen Pause hatte, dann juckt es mich wieder, dann muss es wieder losgehen. Ich bin jetzt seit meinem siebten Lebensjahr praktisch jedes Wochenende auf dem Fußballplatz. Das ist mein Leben, das ist meine Passion. Und solange ich das Gefühl habe, ich kann das vermitteln, werde ich weitermachen.
Hätten Sie denn auch Lust, jetzt noch mal eben eine Klub-WM durchzuplanen?
Nein. Und wenn der FC Bayern gegen Auckland 10:0 gewinnt, dann hinterfrage ich schon die Sinnhaftigkeit dieser Geschichte. Die Top-Spieler werden in diesem Jahr praktisch keine Pause haben. Im August beginnt die Saison, dann kommt schon wieder WM-Qualifikation, Nationalmannschaft und am Ende der nächsten Saison steht die WM. Ich weiß nicht, wie das funktionieren soll.
Gibt es eine besondere Station, die Sie noch reizen würde?
Verrückte Dinge schließe ich komplett aus. Aber was mich noch mal reizen würde, wäre irgendwann vielleicht ein Amt als Nationaltrainer. Mit einer Nationalmannschaft bei der WM zu sein, das wäre ein toller Abschluss meiner Karriere.
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Tradition ist nicht die Aufbewahrung von Asche, sondern die Weitergabe des Feuers
" Der VfL kommt von der Castroper Strasse, und hier soll er auch bleiben."