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Kaenzig: "Unsere Leute müssen Lust auf Drama verspüren"
#1
Obwohl der VfL Bochum wohl eher als ursprünglich geplant (2030) schuldenfrei sein wird, setzt der Verein weiter auf ein gesundes Wachstum. Für diese Strategie steigt aus Sicht von Ilja Kaenzig (51) aufgrund der wohl geringer werdenden Mediengelder die Wichtigkeit der Transfererlöse. 

Herr Kaenzig, der VfL will bis 2030 schuldenfrei sein. Ist das überhaupt möglich, wenn er immer mehr Geld in den Kader stecken muss, um Jahr für Jahr die Bundesliga zu erhalten?
Ja, die Tilgung ist sogar eingeplant und wahrscheinlich kommen wir früher zu einer Löschung der noch offenen Darlehen aus dem Bau des Stadioncenters. Der VfL hat - das ist nicht mein Verdienst, sondern war vor meiner Zeit - in einer Krise seinen Mitgliedern versprochen, kein neues Fremdkapital aufzunehmen. Unsere Strategie: Wir setzen aber auch so weiterhin auf Wachstum - und nicht auf Boostern um jeden Preis.

Aber es hätte sicher Modelle gegeben, die das Wachstum beschleunigt hätten, oder?
Wir haben auch geschaut, wie es Union zum Beispiel mit Quattrex gemacht hat. Dies war bei uns nicht zu realisieren. 

Erschwert das nicht Investitionen in günstigen Phasen, die es ja auch geben kann?
Natürlich haben wir oft neidisch zur Konkurrenz geschaut, aber unser Wachstum trug auch Früchte, sodass wir modernisieren und professionalisieren konnten. In den letzten vier Jahren haben wir mit rund 12 Millionen Euro Mängel aus elf Jahren 2. Liga beseitigt. Wo wir noch nicht so weit sind: Mal einen Spieler zu holen, der nicht nur sportliche Zinsen bringt, sondern auch Rendite. 

Bestünde nicht die Option, Anteile zu verkaufen?
Das halten wir uns offen für den Fall, eines Tages den richtigen strategischen Partner zu finden.

Kämen Sie da nicht in Abhängigkeiten?
Nein. Eines unserer Ziele lautet Profitabilität und da kann ich auch bei einem Investor soweit es geht unabhängig bleiben. Doch wer Miese macht, wird abhängig. 

Gibt es eine Branche, auf die Sie speziell schielen?
Wir haben mit dem DAX-Konzern Vonovia einen strategischen Partner als Hauptsponsor und Stadion-Namensgeber. Die heutigen strategischen Partner auf Investorenebene sind in der Regel amerikanisch oder international und arbeiten mit institutionellem Geld. Das ist Fluch und Segen.

Fluch, weil sie renditeorientiert sind, also den wirtschaftlichen Erfolg über alles stellen. Segen, weil sie anders als Privatleute nicht emotional agieren oder beispielsweise verrückte Transfers tätigen, die sich der Verein eigentlich nicht leisten kann. Unsere potenzielle Wachstumsmarge ist unglaublich groß, daher werden wir bei dem ein oder anderen Partner auf dem Zettel sein. 

Wie meinen Sie das?
Investoren wollen Wachstum, die Größe ist oft gar nicht so entscheidend. Bei uns hätte man die Chance, aus einem Umsatz von 80 Millionen Euro 120 Millionen zu machen. Das gibt es nicht so häufig. 

Ihr Klub geht in seine vierte Bundesliga-Saison in Serie. Ist er schon ein "etablierter" Erstligist?
Nein, aber auf dem Weg dahin schon. Die avisierten 100 Millionen Umsatz sind eine kritische Größe. In der Bundesliga gilt es als gesund, wenn ich 45 bis 50 Prozent meines Umsatzes in den Lizenzetat stecke. Das wären dann 45 bis 50 Millionen, die zwar nicht den Klassenerhalt garantieren, aber zumindest einen Puffer zu den Aufsteigern darstellen. Derzeit sind wir bei rund 85 Millionen Umsatz und 41 Millionen Lizenzetat. 

Auf welchem Niveau bewegt sich der VfL da gerade im Schnitt betrachtet?
Heidenheim und St. Pauli mit seiner großen Reichweite sind da sicher auf einem ähnlichen Level, Heidenheim ist bereits in seinem zweiten Jahr da, wo wir in vier Jahren Bundesliga nicht hingekommen sind. Wenn Fürth, Paderborn oder Darmstadt hochgehen, haben wir den Puffer. Wenn es der 1. FC Nürnberg ist, Hannover 96 oder der KSC, der richtig boomt, also Klubs mit großen Stadien und großer Anziehungskraft, dann sind die direkt auf Augenhöhe mit uns, obwohl wir bereits vier Jahre oben sind. Da reden wir noch nicht von Schalke, Hertha oder Köln. 

Welche Wachstumssäulen hat der VfL Bochum?
Die wichtigste Säule bei vielen Klubs waren jahrelang die Medienerlöse, aber da erleben wir gerade eine Revolution. Auf Sicht werden die Transfererlöse dies sein, selbst bei den großen Klubs aus England. Wir haben in drei Jahren Bundesliga einen super Job gemacht und etwa Augsburg beim Umsatz eingeholt - mit einer Ausnahme: Wenn man die Transfers rausrechnet. 

Denn da sind Klubs wie Augsburg oder Mainz äußerst erfolgreich. Ohne diese Säule werden wir nie ein gestandener Bundesligist. Da müssen wir uns aber von dem Gedanken lösen, dass es unethisch ist, Spieler zu kaufen, um sie irgendwann mit Mehrwert zu verkaufen.

Ist dieser Gedanke in Bochum noch so ausgeprägt?
Schon, natürlich auch aus einer Zeit, in der Spieler kamen ohne Weiterverkaufsperspektive. Wir hören jedes Jahr: ,Wenn der geht, ist es das Ende.‘ Aktuell etwa bei Kevin Stöger. In unserem ersten Bundesligajahr gab es massive Proteste, weil Elvis Rexhbecaj nicht zu halten war. Das ist Teil einer Entwicklung, die wir machen müssen.

Um die Transfererlöse auszubauen, müssen Sie aber höher ins Risiko gehen, nicht mehr den 28-Jährigen holen, sondern das 22-jährige Talent - das vielleicht seine Klasse noch dauerhaft zeigen muss.
Wir sind noch nicht so weit, den 22-Jährigen zu holen, weil da die richtig hohen Ablösen bezahlt werden müssen. Wir sind eher beim 26-Jährigen, der nach zwei Jahren Bochum noch eine Perspektive hat. Es bedingt aber eines größeren Mitteleinsatzes als früher. Dem Thema Effizienz kommt damit eine Schlüsselrolle zu. 

Das heißt, der VfL der Zukunft generiert seine Einnahmen aus?
Idealerweise einem Drittel Mediengeld, einem Drittel Transfererlöse und einem Drittel aus Spielbetrieb und Kommerz, also vom Ticketing über Sponsoring bis zum Merchandising. Damit wäre man sehr potent aufgestellt als VfL. Das ist aber ein Plan von drei, vier Jahren. 

Hehre Ziele.
Dieses Wachstum ist komplett alternativlos, auch wenn es eine enorme Belastung für alle im Verein hier darstellt, von den Gremien über die Fans, die Mitarbeiter in der Verwaltung, deren Bereitschaft ich wirklich extrem loben muss, die wir aber auch unbedingt brauchen, bis zum Sport.

Wir können uns hier nicht ausruhen und genießen. Das Wachstum, das wir brauchen, stresst die ganze Organisation. Wir brauchen schon Leute, die das auch mögen (lächelt). Wir haben 50 Prozent weniger Angestellte als unsere Wettbewerber. Dieser Spirit muss uns ausmachen, nicht nur auf dem Platz.

Dazukommt eine gewisse Unsicherheit bezogen auf die Liga und damit wahrscheinlich auch Verdienst.
Unsere Leute müssen Lust auf Drama, auf die emotionale Achterbahnfahrt verspüren. Wer lieber Ruhe möchte, passt nicht in unsere Umgebung. Dass es funktioniert, sieht man auch in der stärksten Liga der Welt. Da spielt halt dann ein Brighton, das noch kleiner war als Bochum, durch kluges Management in der Premier League. Geld ist kein Problem heute, der Umgang damit, da trennt sich die Spreu vom Weizen. Wer mehr Geld hat, der wird teilweise auch nachlässiger. Geld ist relativ geworden, sonst hätte PSG schon die Champions League gewonnen und Manchester City diesen Wettbewerb mehr als einmal. 

Was bedeutet ein Jahrzehnt im Unterhaus infrastrukturell?
Das ist, als würdest du 30 Jahre lang nichts planen, in mehrfacher Hinsicht. Klubs setzen auf das nächste Spiel, auf den Aufstieg, und vernachlässigen alles andere. Du verlierst Knowhow, stößt nichts Neues an und verlernst, wie der Markt funktioniert, weil du nur noch um dich selbst kreist. Es entsteht eine gewisse Abstumpfung - im Klub und drumherum. Das macht niemand absichtlich, man wird in diesen Teufelskreis förmlich hineingezogen. 

Wie kommt man da heraus?
Beispielsweise durchs Benchmarking, sich umsehen, was bei denen passiert, die einen überholt haben. Gerade Traditionsklubs igeln sich manchmal ein bisschen ein, da sind es dann nicht selten Investoren, die wachrütteln. Für uns ist es zentral wichtig, überzuperformen. Das gilt für den Sport, aber auch alle unsere Verwaltungsabteilungen. Wir sind mit einem 12-Millionen-Etat aufgestiegen, das reicht ja normal nie. Aber wir haben durch eine gute Struktur die Wahrscheinlichkeit auf Überperformance erhöht. 

Das klingt nun recht einfach, finden Sie nicht?
Es gibt Dinge, die passieren nicht zufällig, sondern wenn alles zusammenkommt. Neben gutem Management gehören da für mich klare Strukturen dazu. Wenn Vertrauen da ist, ist es ruhig, dann hat man Kontinuität und nur dann kann man effizient sein in der Mittelverwendung. Das können Sie auf jede Liga in Europa anlegen, deswegen halte ich Geld mittlerweile nur noch für entscheidend im relativen Sinne. 

Die Ausschreibung der nationalen Medienrechte stockt, Sie haben beschrieben, dass der VfL bei den Transfererlösen noch aufholen muss. Ist die Hängepartie für Bochum mit Blick auf den Etat ab 2025 damit nicht riskanter?
Das ist brutal für uns, während Kollegen mancher Vereine sich damit gar nicht beschäftigen. Wenn wir unser Level halten wollen, wir aber nicht wissen, was mit dem Mediengeld ist, ist das kompliziert. Schwindet der Vertrag um 10 Prozent, macht das in Relation viel mehr aus bei uns als bei größeren Klubs. Deswegen: Wachstum, Wachstum, Wachstum. 

Quelle: Kicker.de
Tradition ist nicht die Aufbewahrung von Asche, sondern die Weitergabe des Feuers
" Der  VfL kommt von der Castroper Strasse, und hier soll er auch bleiben."
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