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Bochums Trainer über den Umschwung
#1
Mit Uwe Rösler drehte sich die Stimmung beim VfL Bochum. Der Trainer punktet mit einer jungen Mannschaft und seiner nahbaren Art, erzählt im Interview aber auch, dass er manche Maßnahme früher nicht gewagt hätte. Ohnehin wundert sich Rösler, warum es so lange dauerte mit Anfragen aus der Heimat. 

Als Uwe Rösler Mitte Oktober übernahm, stand der VfL Bochum mit nur einem Sieg aus acht Spielen da. Vier Wochen und zehn Punkte später hat sich die Stimmung an der Castroper Straße gedreht - daran ändert auch die 1:2-Niederlage in Bochum am Freitagabend nichts. Wie er das angestellt hat, erklärt Rösler im Interview, auch warum der 57-Jährige auf eine bemerkenswert junge Mannschaft setzt und derart die Nähe zu den Fans sucht. Und zur Not könnte er ja noch immer bei Pep Guardiola anrufen. 

Herr Rösler, haben Sie heute für die Arbeit schon ein Laptop genutzt?
Aber natürlich. Ich bin gemeinsam mit meinem Analysespezialisten noch einmal über das Spiel in Braunschweig gegangen. Wir haben eine Präsentation mit wichtigen Szenen erstellt. 

Ehrlicherweise wirken Sie eher etwas oldschool und eben nicht wie ein Laptop-Trainer. Ärgert oder freut Sie solch ein Fern-Urteil?
Das ärgert mich überhaupt nicht, ich bin eben in einer anderen Generation aufgewachsen und Trainer geworden. Aber natürlich darf man selbst nie denken, dass man ausgelernt hat. Ich bin den ganzen Tag umgeben von Experten für verschiedene Spezialgebiete und zudem Spielern, die im NLZ mit all den technischen Begriffen und Möglichkeiten groß geworden sind. Da muss man als Trainer ebenfalls up to date sein. 

Brauchen Sie bei Spielen ein Tablet auf der Bank vor sich?
Mir ist es eher wichtig, dass ich das Spiel auch wirklich miterlebe. Aber meine Assistenten nutzen das Tablet schon. Wenn sie taktische Dinge im Hintergrund erkennen, stecken sie mir die zu. Und in der Halbzeit zeigen wir maximal zwei, drei Bilder - sowohl gute Sachen als auch Dinge, die wir besser machen müssen. In Braunschweig zum Beispiel hat uns dieser technische Zugang in der Pause sicher geholfen. 

Jedenfalls sind Sie taktisch flexibel und keineswegs starr in Ihrem Spielsystem. Bei Ihrer letzten Station in Dänemark spielten Sie mit Dreierkette, in Bochum nun mit Viererkette.
Solche Umstellungen begleiten mich schon meine gesamte Trainerkarriere. Ich bin Fan der Dreierkette, aber nur, wenn ich sie mit Minimum einem, lieber zwei groß gewachsenen Außenverteidigern spielen kann und nicht ausschließlich mit Innenverteidigern. Hier in Bochum haben wir eine hohe Qualität fürs zentrale Mittelfeld, also wollte ich lieber dort einen Mann mehr bringen können. Unter anderem darum die Viererkette. 

Was für eine Mannschaft haben Sie vor gut vier Wochen beim VfL vorgefunden?
Im Sommer sind viele Spieler gegangen und gekommen, das ist schon mal nicht einfach für eine Mannschaft. Außerdem darf man die mentale Belastung nach einem Abstieg nie unterschätzen. Mit dem Fehlstart wurde die Verunsicherung dann immer schlimmer und war fast greifbar. 

Wie verändert man eine solche Stimmung?
Ich glaube, dafür braucht es Erfahrung, um den richtigen Ton zu treffen. Und wir haben natürlich an vielen Sachen gearbeitet: Spielsituationen mit dem Ball und gegen den Ball, Umschaltsituationen, offensive und defensive Standards, etc. Geholfen aber hat vor allem das Hertha-Spiel gleich zum Auftakt. 

Der 3:2-Sieg geriet nach der 3:0-Führung allerdings noch in Gefahr.
Dieses Spiel und die Atmosphäre drum herum werden mir für immer im Gedächtnis bleiben. Auch deshalb, weil ich mit Düsseldorf gegen Hertha mal nur 3:3 nach 3:0 gespielt habe, daran musste ich zwischenzeitlich denken. Aber durch dieses Erfolgserlebnis hat sich die Stimmung in der Kabine, im Verein, ja in der ganzen Stadt gedreht. 

Waren Ihre kurzen Hosen bei den Spielen mit Bochum ein Kalkül von Ihnen für den Arbeiterverein?
Nein, das war kein Kalkül. Gegen Hertha war es einfach noch sehr mild, also habe ich beim Spiel gleich die Shorts angelassen. Und nach diesem Erlebnis gab es natürlich keinen Grund, irgendetwas zu ändern. 

Sie suchen die Nähe zu den Spielern, aber auch auffällig zu den Fans.
Man muss immer bedenken, dass wir in der Unterhaltungsbranche sind. Wir spielen für die Zuschauer. Das habe ich auch auf allen meinen Stationen so gemacht, zuletzt in Aarhus oder auch bei Malmö FF. Nur in Düsseldorf ging das leider nicht, da war ich der "Corona-Trainer" und das Stadion leer. 

Inwiefern passt die Malocher-Mentalität anne Castroper zu Ihnen?
Die Verantwortlichen beim VfL wollten einen Trainer, der für gewisse Sachen steht. Als ich gekommen bin, wirkte die ganze Stadt in Angst aufgrund der Resultate. Und das in Bochum, wo der Fußball eine Religion ist. Da ist es natürlich wichtig, dass wir alle mitnehmen, dass wir zeigen, dass wir aus dieser Situation nur gemeinsam rauskommen. Und darum haben wir vor und nach den Spielen auch so intensiv den Kontakt zur Kurve gesucht. 

Sie setzen teils auf eine äußerst junge Besetzung, sechs Profis waren nicht nur beim 1:0 im DFB-Pokal bei Bundesligist Augsburg höchstens 21 Jahre alt. War das Mut oder Verzweiflung?
Weder noch. Aber vielleicht hätte ich mich das als jüngerer Trainer nicht getraut. Die jungen Spieler hatten in dieser Phase den leichten Vorteil, dass sie vielleicht weniger nachdenken und mit voller Energie ihre Chance ergreifen wollen. Hat jedenfalls ganz gut geklappt. 

Vor allem Francis Onyeka ist in aller Munde. Welches Potenzial hat er mit seinen 18 Jahren?
Sie sagen es ja selbst, wie jung er ist. Francis kam mit einem starken Momentum von der U-19-Nationalelf, da hatte er in drei Spielen sechs Tore geschossen. Das wollte ich natürlich nicht stoppen, sondern habe mir gesagt: Okay, schmeiß den Jungen rein. 

Und dann traf Onyeka auch gleich gegen Hertha doppelt.
Das war mein Bauchgefühl, mit einem Schuss Erfahrung vielleicht. Als früherer Stürmer weiß man, wie es ist, wenn man einen Lauf hat. 

Dafür saßen ältere Spieler wie Philipp Hofmann zuletzt anfangs draußen.
Aber Hoffi hat das aufgenommen wie ein echter Profi. Gegen Braunschweig kam er rein und leistete einen super Assist zum 2:0. Mir ist völlig klar, dass wir ohne gelernten Neuner nicht durch die Saison kommen. Also ist es nur eine Frage der Zeit, wann er spielen wird. Und dann müssen wir ihn in die richtige Position bringen, dann trifft er sowieso. 

Timo Horn ist nach der eher durchwachsenen ersten Saison in Bochum nun der Rückhalt im Tor. Was bringt er neben seinen Paraden für das Team?
Timo ist ein Leader wie man ihn sich wünscht. Sportlich über jeden Zweifel erhaben, in fast jedem Spiel hat er eine für uns eminent wichtige Rettungstat. Er übernimmt auch verbal Verantwortung, gibt Feedback an uns Trainer oder erklärt den jüngeren Spielern viel von der Profi-Kultur, wie wir trainieren oder uns vorbereiten wollen. 

Es scheint, vor allem Geschwindigkeit ist Ihnen im Spiel besonders wichtig?
Sehr wichtig. Denn das ist das moderne Spiel, mit Speed, mit Intensität und Laufbereitschaft. Und dafür haben wir auch viele passende Spieler, siehe Gerrit Holtmann oder Farid Alfa-Ruprecht und so weiter, dazu kehrt Koji Miyoshi zurück, auch Ibrahima Sissoko auf der Sechs kommt endlich wieder. 

Was waren Ihre Hauptthemen im Training während der Länderspielpause?
Es war das volle Programm: Pressing und Gegenpressing, Spielaufbau von hinten über die beiden Sechser, Spiel ins letzte Drittel, Boxbesetzung, Flanken, Tiefenläufe. Da war also ziemlich viel zu tun. 

Kam Ihnen die Pause überhaupt gelegen nach der guten Phase zuvor?
Ach, das weiß man ja nie. Als ich hier angefangen habe, war das auch in einer Länderspielpause. Jetzt kamen wenigstens einige Spieler aus Verletzungen zurück, dafür fehlten wieder einige der Jüngeren wegen der U-Nationalteams. Alles nichts Neues für mich. 

Seit Anfang Oktober ist zudem die sportliche Leitung des Vereins anders aufgestellt, mit gleich fünf neuen Leuten. Wie ist die Zusammenarbeit mit Simon Zoller, dem Bindeglied zwischen Klubspitze, Trainer und Mannschaft?
Das passt sehr gut mit Zolli. Er war wie ich früher Stürmer, da kann man sich also schon mal über einige Dinge unterhalten, und zum Glück sind unsere Sichtweisen oft sehr ähnlich. Außerdem muss er die Augen und Ohren offenhalten für all die Themen, die dann im Januar kommen: Trainingslager, mögliche Transfers, Vertragsverlängerungen und und und. 

Über 19 Ihrer fast 21 Trainerjahre verbrachten Sie im Ausland. Gab es keine Angebote aus Deutschland?
Ich habe mich schon auch gewundert über all die Jahre. Aber, weil ich damals als Trainer schon im Ausland angefangen habe, war ich bei vielen deutschen Sportdirektoren einfach nicht auf dem Schirm. Es gab zwar immer mal wieder Anfragen, aber jedes Mal dann, wenn es gerade ganz gut lief bei meinen Mannschaften, und dann wechsle ich nicht. Dementsprechend bin ich Lutz Pfannenstiel heute noch dankbar. 

Er holte Sie im Januar 2020 zu Fortuna Düsseldorf, Ihrer ersten Trainerstation in der Heimat.
Ich hatte mich so gefreut auf diesen Verein, das Stadion, die Stadt. Aber dann kam Corona. Wir haben uns zwar sportlich in vielen Bereichen verbessert, aber es hat nicht gereicht für den Klassenerhalt in der Bundesliga. Nach dem Abstieg blieb das Stadion wegen der Pandemie weiterhin leer, damit fehlte ein wichtiges Pfund der Fortuna. Wir haben trotzdem eine solide Zweitliga-Saison hingelegt und bis zuletzt um den Relegationsplatz mitgespielt. 

Nach dem verpassten Aufstieg mussten Sie gehen. Zuvor waren Sie bei Leeds oder Brentford in der 2. englischen Liga, aber nicht als Trainer in der Premier League.
Die Championship ist auch nicht schlecht und sollte in ihrer Popularität nie unterschätzt werden. Aber darüber, das ist natürlich die Weltliga schlechthin, mit den besten Trainern und den besten Spielern. Ich hatte in England zum Beispiel immer einen guten Draht zu David Moyes, der mir oft gute Leihspieler aus der Premier League gab. 

Immerhin kennen Sie die Premier League aus Ihrer Stürmerzeit in den 90ern bei Manchester City, Sie sind auch in der Hall of Fame des Vereins. Welche Verbindung haben Sie heute noch zu City?
Ich habe einen Großteil der letzten Jahrzehnte in England verbracht und mit meiner Familie auch während meiner Trainerzeit noch lange in Manchester gewohnt. Während meiner Krebserkrankung hat mir City ebenfalls geholfen, das vergesse ich nie. Die Verbundenheit zur Stadt und zum Verein ist also riesig. 

Könnten Sie Pep Guardiola anrufen für taktische Tipps?
Ich könnte wohl, aber ich will ihm nicht die Zeit stehlen. Mein Trainerteam und ich kommen schon selbst auf Lösungen. 

Aber Sie schauen auf zu Guardiola?
Jeder intelligente Trainer versucht doch, Sachen von Pep zu kopieren: Positionsspiel, Ballbesitz, Spielaufbau, Breaking Lines, Überzahl schaffen am Ball, Pressing, Dribbling-Situationen - da gibt es ständig etwas zu lernen vom Besten. 

Sie waren als Trainer auch viel im Norden, mit Dänemark, Schweden und Norwegen haben Sie Skandinavien fast durch. Was zieht Sie in diese Gegend?
Meine Frau ist Norwegerin. Ich habe meine Spielerkarriere damals in Lilleström beendet und dort Ende 2004 auch als Trainer anfangen dürfen. Es entstand ein Netzwerk in Skandinavien, das sich bis heute gehalten hat und womöglich auch durch Leistung begründet war. 

Und wann kommt Finnland in kurzen Hosen?
(lacht) Das kann ich wohl ausschließen. Jetzt arbeite ich daran, dass ich auch endlich in Deutschland als Trainer Wurzeln schlage. In einem Verein wie dem VfL Bochum mit dieser Energie kann ich ja hoffentlich noch einige Zeit bleiben. 

Quelle: Kicker+.de
Tradition ist nicht die Aufbewahrung von Asche, sondern die Weitergabe des Feuers
" Der  VfL kommt von der Castroper Strasse, und hier soll er auch bleiben."
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